Freitag, 5. August 2011

Beim Zeus, das swingt!

Mit einem letzten Nachtrag schliessen wir den Kreis der Spielstätten und der Sparten: Nach Ballett und Theater geht es heute um die Oper, und zwar um Händels Semele. Das ist, um genau zu sein, An Opera in the manner of an Oratorio; und vielleicht stehen deshalb, als sich der Vorhang hebt, vier Notenpulte und vier Stühle in Reih und Glied auf der Bühne des Berner Stadttheaters. Aber konzertant gesittet wird der Abend ganz und gar nicht, im Gegenteil: Pulte und Stühle fliegen schon bald weg und kippen um, und die explosive Geschichte nimmt unkontrolliert ihren Lauf. Sie ist ja auch vertrackt genug: Semele ist die Tochter des thebanischen Königs Kadmos. Sie ist eine Geliebte des Zeus, soll aber Athamas heiraten, in den wiederum ihre Schwester Ino unsterblich verliebt ist, und muss, falls das mit Zeus ernsthafter wird, die Rache der Hera fürchten. Menschen und Götter – es ist kompliziert. Zunächst freilich erscheint alles sehr einfach: Der Göttervater sprengt mit Blitz, Donner und goldenem Regen in letzter Sekunde die Hochzeit und holt die Geliebte zu sich. Dann nimmt das Verderben seinen Lauf. Einerseits langweilt sich Semele im Olymp schon bald – der Geliebte ist ständig auf Achse, und auch Ino, welche Zeus ihr hastig als Gesellschafterin herbeiholt, kann sie nicht trösten. Anderseits spinnt Hera, zunächst furios erregt, dann immer gefasster, ihren heimtückischen Gegenangriff. Beides fliesst in einer genial-perfiden Idee der Göttermutter zusammen: Sie gibt Semele die Idee ein, von Zeus als Liebesbeweis zu verlangen, er möge sich ihr nicht in menschlicher Verkleidung, sondern in seiner wahren göttlichen Gestalt zu zeigen. Sonnenklar, dass die frustrierte Sterbliche darauf reinfällt, dass Zeus sie vergeblich warnt, und dass sie von der unaushaltbaren Erscheinung geblendet stirbt.

Newburgh Hamilton und William Congreve haben die von Ovid vorgezeichnete Handlung in ein ausgezeichnetes Libretto gegossen – so knapp, als hätten sie jedes Wort einzeln abgewogen; und trotzdem fehlt nichts, geht alles zwangslos ineinander über: keine Spur von Langfädigkeit, wie sie mir bei anderen Barockopern auch schon aufgefallen ist. Händel gibt (in the manner of an Oratorio, wir erinnern uns) dem Chor überraschend viel Platz, und auch das tut dem Stück gut. Es erlaubt dem Regisseur Jakob Peters-Messer, viel Handlung und Leben auf die Bühne zu bringen. Die Ansätze zur Komödie, die in der Vorlage enthalten sind, nimmt er dankbar auf, überzeichnet da und dort einiges (worunter, wie so oft, die eifersüchtige Göttergattin Hera am meisten leidet). Grossartig etwa ist die lange Szene, in der Semele, assistiert von der zunehmend verzweifelten Ino, aus hundert Paar schwarzen Pumps ihren Favoriten küren soll. Das Berner Symphonieorchester (in Barockbesetzung, optisch wunderbar mit Cembali und Theorbe) wurde von George Petrou geleitet und begleitete ein durchwegs überzeugendes Solistenensemble. Eine Erwähnung hätten alle verdient; geblieben ist mir der souveräne Jupiter des Andries Cloete, ein Klischee-Playboy mit Schmalzlocke und offenem Morgenmantel, der mit perlend leichter, grossartiger Stimme seinen Goldregen begleitete.

In die Oper gehe ich, wie der aufmerksame Leser weiss, ausnehmend selten – wohl eine Frage persönlicher Vorlieben und Prioritäten. Was dabei gelegentlich zu verpassen ist, hat mir Semele gezeigt: ein Gesamtkunstwerk, in dem Musik, Bewegung und Handlung nahtlos ineinander und in einen viel-sinnigen Genuss übergehen. Und in dem Witz und Anspielungen nicht zu kurz kommen. Die Geschichte ist mit Semeles tragischem Tod nämlich noch nicht zu Ende: Aus ihrer Asche überlebt ihr ungeborener Sohn mit Jupiter, Bacchus, der Gott der Ekstase. Und so flitzt der Kleine zuletzt über die Bühne, rennt zielstrebig auf die Magnum-Flasche zu und serviert als Schlussbouquet überreichlich Champagner…


Technisches: Semele wird im Herbst am Stadttheater Bern nochmals für vier Vorstellung wiederaufgenommen. Für einmal bin ich also mit meiner Rezension nicht nur zu spät…

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