Sonntag, 17. Juli 2011

Flight of Gravity

Wenn hier im Blog die Rede auf Festivals zu kommen beginnt, ist das ein untrügliches Zeichen, dass die Theatersaison vorbei ist. Die Programme sind durch, die Dernièren gespielt; und während auf Plätzen und in Pärken Jazz und Film und mehr unter freiem Himmel zelebriert werden, schlummern die Bühnen ihren verdienten Sommerschlaf. Für den Schreibenden ist der Saisonschluss allerdings häufig eine Zeit, in der auch diverses Anderes abgeschlossen wird, was hier im Blog regelmässig zu Verspätungen führt. Deshalb ist einiges nachzutragen, und ich beginne mit dem Bericht zum letzten Ballettabend der Saison am Stadttheater Bern. Nachdem wir das zweite Programm schmählich verpasst hatten, schafften wir es in extremis dann gerade noch an die, eben, Dernière von Flight of Gravity. Soviel sei schon zusammengefasst: Es wäre jammerschade gewesen, diesen kurzen, intensiven Abend zu verpassen.

Ohne es geplant zu haben, kamen wir genau in dem Moment im Vidmar-Foyer an, als Ballettchefin Cathy Marston und Dramaturgin Wanda Puvogel ihre kurze Werkeinführung begannen. Anlass und Anstoss zu ihrer Kreation war der fünfzigste Todestag des Komponisten Bohuslav Martinů, 1959 im Liestaler Exil. Die Martinů-Festtage regten alle Musiktheater in der Schweiz an, zu diesem Gedenktag ein Werk von Martinů auf die Bühne zu bringen. Währenddem die meisten Häuser dieser Anregung mit Operninszenierungen nachkamen, machte sich in Bern Cathy Marston für einen Ballettabend zu Martinus Musik stark. Die Wahl fiel auf das Concerto da Camera, das ergänzt wurde um barocke (Tartini) und moderne Musik (Silvestrov und Penderecki). Ein grosszügiges Sponsorenengagement ermöglichte die Zusammenarbeit mit der Camerata Bern, die live auf der Bühne musiziert. Die Figuren für ihr Ballett borgte sich Cathy Marston bei Milan Kundera aus. Das Liebesdreieck aus Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins – der Verführer Tomas, die zurückhaltende Teresa und die impulsive Sabina – liefert den Rohstoff für Charaktere und Beziehungen. Durch die Aufspaltung der drei Figuren auf jeweils drei Tänzerinnen und Tänzer schält die Choreografin ihre einzelnen Eigenschaften und Aspekte heraus.

Zum Abschluss der kurzen Einführung sagte Wanda Puvogel dann noch dies: Mit dem Wissen um diesen Hintergrund, nämlich die Musik, die Hauptpersonen und die dargestellten Gefühle, kann man das Ballett mit dem Kopf wahrnehmen. Man kann es aber genauso gut mit dem Bauch tun, kann Musik, Kostüme, Bewegungen einfach auf sich wirken lassen. Ob es an der Komplexität von Flight of Gravity lag oder an meiner Müdigkeit – genau das habe ich getan. Deshalb, und so Leid es mir tut, bin ich nun ausser Stande, hier eine tiefschürfende Analyse zu geben. Ich kann einzig einige der Glanzlichter rapportieren. Die Bühne wäre zu erwähnen, eine sobre, aber raffinierte Etagenkonstruktion, die zuoberst dem (stehenden) Orchester Platz bot und vorne, auf einem Mezzanin-Niveau, dem Pianisten, währenddem über Treppen und durch Öffnungen die Tänzerinnen und Tänzer zirkulierten. Die verschwenderische Choreografie wäre zu nennen – das Bern:Ballett trat mit Verstärkung von jungen Tänzerinnen und Praktikantinnen an, und ein normal multitasking-fähiger (oder eben unfähiger) Betrachter hätte mehrere Augenpaare gebraucht, um allem zu folgen. Schon zur Genüge bekannt, aber deswegen nicht weniger eindrücklich, sind Cathy Marstons kreative Sicherheit und die Perfektion, mit welcher das Bern:Ballett ihre Ideen umsetzt. Die Musik schliesslich erwies sich als stupend tanzbar, und die Vermählung von barocken und zeitgenössischen Stücken zeugt von einem universellen Wissen und einem Verständnis des Gegenstandes, die sich der Vorstellungskraft des Laien entziehen. Ein an Dichte, aber auch an Schönheit kaum zu übertreffender Tanzabend bildete dergestalt meinen Schlusspunkt der Saison. Und es bleibt mir nur zu sagen, dass ich mich schon riesig auf die nächste freue.


Technisches: Wie gesagt, es war die Dernière. Wer das Stück verpasst hat, kann nur schwach hoffen, dass irgendwann eine Wiederaufnahme angesagt wird… Einen guten Einblick in das optische und akustische Erlebnis bietet in gewohnt hoher Qualität das Video auf art-tv.ch.

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