Samstag, 2. Juli 2011

Klangraum Bollwerk

Zwar ist das frühsommerliche Freiburger Festival für Avantgarde-Kunst nach dem Bollwerk bzw. Belluard benannt, aber längst nicht alle Veranstaltungen finden in der mittelalterlichen Festung statt. Zweiter Hauptspielort ist seit einigen Jahren die Ancienne Gare, und darüber hinaus gebraucht das Festival immer auch unerwartete Orte in der ganzen Stadt als Bühne: öffentliche Plätze, leerstehende Geschäfte, ein abbruchreifes Haus oder gar Privatwohnungen. So habe ich zwar keine der letzten Ausgaben verpasst, aber das Bollwerk dennoch seit langem nicht mehr von innen gesehen. Bevor Entzugserscheinungen auftraten, galt es, dieses Versäumnis zu korrigieren. Und kaum ein Anlass wäre besser dazu geeignet gewesen als einer, der die einmalige Architektur des Belluard ausdrücklich einbezieht: Espèces d’espaces, eine Klanginstallation, speziell für den Ort geschrieben und mit zwölf Lautsprechern in den Innenhof und die Galerien der Festung projiziert.

Am letzten Dienstag kam ich also gegen viertel vor zehn im Quartier d’Alt an. Auf der Strasse und im angrenzenden Arsen’Alt brodelte die Festivalstimmung, unterstützt durch Küche und Bar, und es war an diesem heissesten Tag des Jahres immer noch feuchtwarm. Aus den meterdicken Mauern des Bollwerks strahlte hingegen eine wohltuende Frische. Die Stühle standen frei im ganzen Innenhof herum, auch auf der Bühne. Dorthin setzte ich mich und genoss den Blick auf die faszinierende Architektur. Innen am steinernen Hufeisen der Festung entlang ziehen sich nämlich zwei Stockwerke Galerien, mehrere Meter tief, von mächtigen Balkenkonstruktionen getragen und an ihren Stirnseiten chaletmässig mit Schindeln bedeckt. Auch an den Verbindungen des Hufeisens zur Stadtmauer hin hängen Holzverschläge. Ein Halbkreis Abendhimmel leuchtete in erdunkelndem Blau über den Dächern der Galerien; Scheinwerfer schälten einzelne Balken und Pfeiler aus der Dämmerung heraus.

Um zehn Uhr traten dann Antoine Chessex, Valerio Tricoli und Jérôme Noetinger an die Mischpulte und Computer in der Mitte des Hofes. Damit begann der weniger überzeugende Teil des Abends. Die anfänglichen Regen- und Donnerklänge wurden bald abgelöst von metallischen Tönen, von schriller Elektronik und magenmassierenden Bässen, teils auch von schierem Lärm. Mehrmals ritzte die einstündige Performance die Schmerzgrenze. Und freilich spielte die Klanginstallation mit dem Raum, lies Töne kreisen, lockte mal von vorne, mal von hinten – aber inwiefern dies ein Spiel, ein Dialog mit diesem konkreten Raum war, erschloss sich mir nicht. In einem Schuhschachtel-Konzertsaal wäre der Eindruck kaum anders gewesen. Sass ich zu exzentrisch? Hätte ich während der Performance herumgehen sollen? Auf jeden Fall habe ich die imaginäre Welt, die laut Programm im Labyrinth der Klänge hätte entstehen sollen, nicht erlebt.

So war für mich die Architektur der eigentliche Star des Abends. Und eine alte Erkenntnis hat sich bestätigt: Das Belluard-Festival ist eine radikale Wundertüte. Man liest das Programm, fühlt sich angesprochen vom einen oder anderen, was dort steht, aber weiss nie, was einen erwartet, bis mans gesehen hat: Einmal ist es eine absolute Sternstunde, das nächste Mal bleibt man ratlos zurück. Bitte nicht falsch verstehen: Ich beschwere mich nicht. Ein Festival, das Grenzen ausloten und ausgetretene Pfade vermeiden will, muss so sein. Dazu passt, dass das Belluard einen lediglich symbolischen Eintrittspreis verlangt. Probiert aus und kommt wieder, ist die Botschaft, erwartet nichts, lasst euch verstören, berühren, überraschen.


Technisches: Das diesjährige Belluard Bollwerk International schliesst heute abend seine Türen. Ich werde die nächstjährigen Termine so bald als möglich in meine Agenda schreiben, um nicht wieder im Vor-Ferien-Abschluss-Stress vom Festivalbeginn überrascht zu werden…

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