Freitag, 3. Juli 2009

No Money, No Love

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist unbestreitbar das bisherige Thema des Jahres. Nach vielen gelehrten und weniger gelehrten Stimmen in Funk und Fernsehen nimmt sich jetzt auch das Freiburger Festival Belluard Bollwerk International des Themas an. Das mag naheliegend erscheinen, ist aber in zweierlei Hinsicht innovativ und wichtig. Einerseits hat das Belluard, soweit ich mich erinnern kann, noch nie ein thematisch so kompaktes Programm gezeigt. Anderseits ist es höchste Zeit, dass sich zu den ach so rationalen Analysten der Krise, die von ihren Hauptakteuren zum Teil schwer zu unterscheiden sind, auch Künstlerinnen und Künstler gesellen. Die Kunst als Seismograf der Gegenwart, als Erklärerin und Verarbeiterin des Weltgeschehens – das ist der hohe Anspruch, und das scheint mir bitter notwendig.

Am Mittwochabend stand der Berliner Tänzer Jochen Roller auf der Bühne des Nouveau Monde. Sein Stück No Money, No Love ist eine Art dokumentarische Tanzperformance über die ökonomischen Bedingungen des Tänzer-Seins; über die Jobs, die ein Tänzer ausüben muss, um für seinen eigentlichen Job als Tänzer zu überleben. Roller erzählte von diesen beruflichen Erfahrungen. Er analysierte am Flipchart den Wert und die Kosten von einer Minute Tanz. Er philosophierte mit Wort und Körper über den Begriff Performance – über die Performance auf der Bühne, über die wirtschaftliche Performance der bezahlten Arbeit, aber auch über die Arbeit als Rollenspiel. Denn nicht nur Jochen Roller spielt den Verkäufer, wenn er bei H&M als Verkäufer arbeitet; auch seine Kolleginnen schlüpfen in eine Rolle, verhalten und bewegen sich als Arbeiterinnen anders denn als Privatpersonen. Roller seinerseits suchte und identifizierte den künstlerischen, tänzerischen Charakter der Bewegungen in seinen Jobs: das (patentierte!) T-Shirt-Falten bei H&M entwickelte sich zu zackigem Kampfsport, das Brief-Verpacken wurde zur gymnastischen Übung, und im Call-Center, wo der Tänzer nur noch akustisch mit den Kunden interagieren muss, wurde er nebenbei, das Infrarot-Headset über den Ohren, wieder zum Tänzer.

No Money, No Love ist ein kurzes Stück; nur vierzig Minuten dauerte die autobiografisch-ökonomische Performance. Das ist an einem warmen Sommerabend sehr angenehm; trotzdem wäre ich gerne noch ein bisschen sitzengeblieben. Vieles war nur angetönt, manches hätte ich mir vertiefter gewünscht. Das wiederum passt zum Belluard: Das Festival scheint mir zwar in den letzten Jahren weniger schräg, weniger extrem avantgardistisch geworden zu sein. Pfannenfertigen Genuss serviert es dennoch keinen. Der Anspruch bleibt intellektuell. Gerade für die Positionierung als Akteur in der Diskussion zur Krise ist das unabdingbar.


Technisches: Das Belluard-Festival dauert noch bis morgen Samstag. Jochen Roller ist auch sonst regelmässig an verschiedenen Orten anzutreffen.

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