Samstag, 25. Juli 2009

Homer revisited

Es ist ein Fluch mit den Ausstellungskatalogen. Zu mächtigen Bergen aufgeschichtet warten sie hochglänzend im Museumsshop auf den geneigten Besucher. Dieser weiss: Hier findet er den aktuellen Forschungsstand von führenden Experten aufgearbeitet und dargelegt, illustriert mit qualitativ hochstehenden, grossformatigen Farbbildern der erstklassigen Exponate – und das alles zu einem höchst fairen Preis. Wer möchte da, beeindruckt und leicht ermüdet vom Ausstellungsbesuch, widerstehen? Ich nicht; oft jedenfalls. Nach dem Kauf und nach kurzem Blättern und Schmökern verstaue ich das gute Stück dann im überfüllten Bücherregal, wo es fortan vor sich hinaltert.

Doch da ich vor geraumer Zeit den Vorsatz gefasst hatte, mich beherzt der vielen Leichen im Regal anzunehmen, jener Bücher also, die ungelesen verstauben, habe ich unlängst zu einem jener monumentalen Kataloge gegriffen: zu dem der letztjährigen grossen Basler Homer-Ausstellung. Ich sollte es nicht bereuen. Zum bekannten Glücksgefühl, das mich immer befällt, wenn ich wieder einmal Philologisches oder Archäologisches lese und durcharbeite, gesellte sich ein grosses Lesevergnügen. Gliederung und Textauswahl sind souverän; die einzelnen Artikel durchwegs von jener schwer zu erreichenden, konzentrierten Kürze, welche die Lektüre gehaltvoll macht; der Katalogteil in Text und Bild nach allen Regeln der Kunst gestaltet. An Erkenntnissen und wirklichen Aha-Erlebnissen besonders reich waren die Artikel von Joachim Latacz (Spiritus Rector der Basler Ausstellung und begnadeter Didaktiker) über die Struktur der Ilias und von Martin L. West über die Überlieferung der homerischen Schriften. Da gab es zuhauf diese glücklichen, fruchtbaren Momente, wo ich gerade so viele Grundlagen und Halbwissen abrufen konnte, dass ich die Argumentationen und Schlüsse in hoher Kadenz voll nachvollziehen konnte, ohne dass sie mir banal erschienen.

Einzig ein leises Bedauern darüber schwang bei der Lektüre mit, dass ich mich in den sechs Jahren meines Philologiestudiums nie wirklich gründlich mit Homer befasst hatte. Das ist nicht nur, aber auch meine Schuld. Ich habe durchaus ein paar Bücher Ilias und Odyssee im Original gelesen, auch ein bisschen was an Sekundärliteratur, aber diese Explorationen nie vertieft. Die meisterhaften Darstellungen von Latacz, West und anderen werfen ein schwaches Licht auf die Erkenntnisse, die ich hätte gewinnen können, als ich im Vollbesitz meiner philologischen Kenntnisse war. Diesen Flow der (vor allem späteren) Studienjahre bringe ich jetzt natürlich nicht mehr hin und muss mich mit seinem Abglanz trösten.


Technisches: Homer – Der Mythos von Troia in Dichtung und Kunst. Hg. von Joachim Latacz, Thierry Greub, Peter Blome. München, Hirmer 2008. ISBN 978-3-777-43965-5. Leider ist der Katalog bereits vergriffen und allenfalls noch antiquarisch erhältlich.

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