Nachlese: Nochmals Belluard, nochmals Wirtschaft. Für uns Normalsterbliche bedeutet „Wirtschaft“ ja nicht in erster Linie Optionen oder Credit Default Swaps, sondern zu einem guten Teil das Ausgeben ganz realen Geldes, sprich Einkaufen. Dazu haben wir SchweizerInnen die allerbesten Voraussetzungen: Die NZZ berichtete letztes Jahr über eine Studie, wonach die Schweiz europaweit die grösste Verkaufsfläche pro Einwohner hat. Fribourg wiederum hat (gefühlt) die grösste leerstehende Verkaufsfläche pro Einwohner. Ausserhalb der konzentrierten Shoppingviertelmeile vom Bahnhof zur Place Python schliessen laufend Läden. Fünf dieser Leerflächen hat das Belluard-Festival fünf KünstlerInnen zum Bespielen überlassen. Das Ergebnis waren anregende Versuche zum Zusammenhang zwischen Kunst und Ökonomie.
Mein Spaziergang zu diesen Läden führte zunächst mitten in die Rue de Lausanne. Im ehemaligen Benetton Uomo hatte das Wiener Duo Matsune & Subal seinen Store eingerichtet. Sie betrieben die Demokratisierung von Kunst, denn sie verkauften Mini-Performances zu absolut konkurrenzlosen Preisen. Ein freundlicher Herr sprach die Passanten auf der Strasse an und zeigte ihnen das Menu: zwei dicht beschriebene Seiten zur Wahl, unterteilt in Daily Specials, Take Away, Home Delivery, Cheap Copies und anderes. Kaum ein Preis lag über zehn Franken. Im engen Schlauch des Ladens nahmen Michikazu Matsune und David Subal – schlecht sitzende Anzüge, schlimme Krawatten, freundliches Lächeln – die Bestellung auf; man zahlte bar und kam umgehend in den Genuss der bestellten Performance. Das Publikum amüsierte sich prächtig. So lockte „Monsieur 3.50“ die ganze Kundschaft aus dem Store, in Prozession die Rue de Lausanne hinunter und zu „Monsieur 2.50“, dem Laden, in dem alles 2.50 kostet. Der Kunde durfte sich, beraten von Matsune & Subal, eines der Stücke aussuchen. Selten war Kunstfinanzierung transparenter: Vom Preis von 3.50 gingen 2.50 an den Laden, ein Franken als Honorar an die Künstler. Die Performance „A6“ (gesprochen „Aah – Sex“) war eine nicht ganz jugendfreie Variation über einen A6-Block. Ich selber bestellte für 5.90 „Double Valued“ und bin nun stolzer Besitzer der doppelten Signatur von Matsune & Subal in einem verschlossenen Umschlag, notabene ihr einziges Werk, das von beiden signiert ist.
Das Story Café zuunterst in der Rue de Lausanne übersprang ich und bog in die Rue Pierre-Aeby ein. In einem Ecklokal zeigte Anna Faroqhi Das Nötigste – Le strict nécessaire, einen gezeichneten Tante-Emma-Laden. In Vitrinen und auf Regalen standen und hingen Zeichnungen von Gütern des täglichen Bedarfs. Die Installation las sich gleichsam als Spiegel der Wareninszenierung in unseren Geschäften, die ja immer ausgefeilter und künstlerischer wird. Wunderschön die Regieanweisungen: „Wenn Ihnen ein Artikel gefällt, können Sie ihn abzeichnen und zu Hause aufhängen. Wenn ein Artikel fehlt, können Sie ihn zeichnen und aufhängen. Das Personal hält Papier und Farbstifte bereit.“
Der Berner Künstler San Keller befasste sich mit dem Kunstmarkt. (Wie elegant sich in diesem Begriff Kunst und Wirtschaft verbinden!) Seine temporären Galerie in einem kleinen, etwas abgelebten Verkaufsraum in der Grand-Rue war leer bis auf eine jener üblichen Kunst-Preislisten. Darauf waren Galeristennamen und Werktitel verzeichnet. Ausgestellt wurden hier nämlich für einmal keine Kunstwerke, sondern die Kommentare von Galeristen zu Kunstwerken – zu jeweils einem ganz bestimmten Kunstwerk. Man wählte also eine Galerie aus und hörte die Beschreibung des entsprechenden Werks. Aber es war kein simples Konsumieren: San Keller half bei der Auswahl, diskutierte die Werke, fragte nach meiner Meinung. Die ersten beiden Kommentare tönten für mich nach dem allzu bekannten Galeristen-Speak, bestätigten mich in meinem Vorurteil über Gegenwartskunst, dass dort nämlich ein zufälliges, seltsames, unerklärliches Erzeugnis durch die Expertenanalyse zum Kunstwerk geadelt wird; dass mithin das Kunstwerk ohne Kunstmarkt-Gütesiegel gar keines ist. San Keller spielte mir dann als Kontrast einen dritten Kommentar ab: Alain Kupper von Kupper Modern sprach sehr persönlich über seine Beziehung zum Künstler und zum besprochenen Kunstwerk. Hier wurde das Wechselspiel von Galerist und Künstler fühlbar, das Kunstwerk wurde auch emotional aufgeladen. Zuhause am Computer stellte ich fest, dass sich Metabetrachtungen zu Kunst, Kunstmarkt, Galerien und Museen immer wieder in San Kellers Werk finden – beispielhaft treffsicher dazu das Museum San Keller. Die Galerie San Keller ist also ein Weiterspinnen dieser Ansätze und Versuche. Passend dazu waren übrigens auch die Preise, die sich im üblichen Kunstmarkt-Kontext bewegten: Die Werkkommentare standen nämlich allesamt zum Verkauf; kaum einer kostete weniger als einen Tausender.
Der letzte Kunstladen lag unten in der Altstadt. Im ehemaligen Kiosk beim Samaritaine-Brunnen, einem kleinen, dunklen Raum, standen zwei Kühltruhen, darin Objekte aus Eis: Tiere jeglicher Art, Gesichter, ein Schlüssel, auch ein Kruzifix. Tout doit disparaître war der Name des Ladens. Die Objekte konnten für einen frei wählbaren Betrag käuflich erworben werden und schmolzen im Idealfall in der Plastiktüte auf dem Weg nach Hause. Die Plastiktüte liess sich (nehme ich an) im Haushaltkehricht entsorgen. Ein geniales Konzept: endlich ein Kunstwerk, dass nach dem Kauf nicht jahrelang Staub ansetzt, ohne dass man es fortzuwerfen wagt!
Da ich mich auf dem Rückweg noch mit der realen Ökonomie befassen, sprich meine Wochenendeinkäufe tätigen wollte, verzichtete ich darauf, in ein Eiskunstwerk zu investieren. Der Bus brachte mich zurück in die Oberstadt. Meine Erfahrung auf dem Spaziergang durch die Kunstläden war vielschichtig: Der herb-abgewetzte Charme leerstehender Läden hatte etwas Melancholisches. Die künstlerischen Bespielungen stellten intelligente Fragen und versuchten originelle Antworten. Besonders gefreut hat mich, dass das Belluard-Festival sich dorthin begab, wo die Leute sind. Der einzigartige Hauptstandort oben beim Bollwerk scheint oft etwas weg vom Schuss. Mit der neuen Schaltzentrale in der Ancienne Gare und mit den in der ganzen Stadt verteilten Läden besetzte das Festival Räume im Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit. Gerade zum diesjährigen Thema passte das ideal.
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