Samstag, 23. Juli 2011

Capri einfach

Weiter geht’s hier mit den Nachklängen aus dem Theater, um es mit Robert Schumann zu sagen. Gemeint ist diesmal das Theater an der Effingerstrasse, wo ich Ende Mai Büchners Leonce und Lena gesehen und sehr genossen habe. Ich kann allerdings nicht genau sagen, ob der Genuss zuvorderst der Inszenierung geschuldet war – oder nicht vielmehr der grenzenlosen Verehrung, die ich Georg Büchner und seinem gesamten Werk entgegenbringe. Als er 1837 mit dreiundzwanzigeinhalb Jahren an Typhus starb, hatte Büchner nicht nur bereits vier Werke geschaffen, die zum Kanon der deutschsprachigen Literatur gehören. Er hatte darüber hinaus eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere in der vergleichenden Anatomie gestartet, die ihn nach Studien in Giessen und Strassburg bis zur Stellung eines Privatdozenten an der Universität Zürich brachte. Und er hatte gleichzeitig in seinem heimatlichen Hessen mit wachem Verstand und scharfer Feder gegen den absolutistischen Landesfürsten aufbegehrt, was ihm Verfolgung und Verbannung einbrachte und ihn eben nach Zürich führte, wo die gerade neu gegründete Universität sich ganz bewusst und aktiv als Zufluchtsort für verfolgte Freigeister aus den deutschen Gross- und Kleinfürstentümer positionierte.

Büchners einziges Lustspiel Leonce und Lena ist ein ebenso politisches Stück wie seine revolutionäre Flug- und Denkschrift Der Hessische Landbote. Sein König Peter vom Reiche Popo wäre gerne ein Denker, ist aber nur ein Wirrkopf, umgeben von einem Hofstaat ängstlicher, stiefelleckender Lakaien, währenddem Landrat und Schulmeister die Bauern zum Jubeldienst drillen. Die Absurdität der Macht und ihre Verachtung für das Volk treten schonungslos zu Tage; die Karikatur ist von schneidender Schärfe. Der Sohn des Königs freilich, Prinz Leonce, ist eher ein Träumer und Romantiker, und als sein Vater ihn zur Hochzeit mit Prinzessin Lena vom Reiche Pipi zwingen will, reisst er aus: Nach Italien will er, ins gelobte Land der Sonne und Freiheit. Dass er dort ebendieser Prinzessin Lena über den Weg läuft, die ihrerseits vor der Zwangsheirat geflüchtet ist, und dass sich die beiden als Seelenverwandte erkennen und unerkannter Weise ineinander verlieben, gibt dem Stück eine Wendung zur romantischen Komödie, allerdings durch gehörige Ironie ebenso abgemildert wie durch den sprühenden Sprachwitz – das Werk eines wahren Meisters der Sprache, kontinenteweit entfernt von jenen oberflächlichen Brechstangen-Wortspielen, die die heutigen „Comedy“-Bühnen bevölkern.

Aber es wäre ungerecht, hier nur vom Stück und nicht von der Inszenierung an der Effingerstrasse zu sprechen. Auch diese hatte ihre Glanzlichter. Geblieben ist mir Uwe Schönbecks Interpretation des Lebenskünstlers Valerio, des Vertrauten des Prinzen. (Das ist die Figur, die sich auf die Frage nach ihrem Beruf mit dem unübertrefflichen Satz einführt: „Herr, ich habe die grosse Beschäftigung, müssig zu gehen.“) Schönbeck spielte – wieder einmal, möchte ich sagen – in erster Linie sich selbst, war aber die ideale Besetzung für seine Rolle. Grossartig in ihrer ernsthaften Absurdität waren Jesko Stubbe als König Peter vom Reiche Popo und seine Adlaten, Berater und Sicherheitskräfte Aaron Frederik Defant und Thomas Handzel. Weniger gefesselt hat mich passagenweise das glückliche Paar Leonce und Lena. Wie sie aber ausgerechnet die Szene, die im Buch vielleicht am wenigsten überzeugt, die Szene ihrer Begegnung, gestalteten, wie sie den einen Wortwechsel, an dem alles hängt, mit dermassen viel Leben füllten, dass einem das Herz warm wurde, war ganz grosse Schauspielkunst. So soll Leonce das letzte Wort dieses Artikels gehören, wie ihm das letzte Wort des Stückes gehört: mit einer so radikalen wie liebevollen politischen Utopie, die heute nicht weniger wünschenswert und dringlich ist, als sie es 1836 war:

Nun, Lena, siehst du jetzt, wie wir die Taschen voll haben, voll Puppen und Spielzeug? Was wollen wir damit anfangen? Wollen wir ihnen Schnurrbärte machen und ihnen Säbel anhängen? Oder wollen wir ihnen Fräcke anziehen und sie infusorische Politik und Diplomatie treiben lassen, und uns mit dem Mikroskop danebensetzen? Oder hast du Verlangen nach einer Drehorgel, auf der die milchweißen ästhetischen Spitzmäuse herumhuschen? Wollen wir ein Theater bauen? (Lena lehnt sich an ihn und schüttelt den Kopf.) Aber ich weiß besser, was du willst: wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht. Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, dass es keinen Winter mehr gibt und wir uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestillieren, und das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeer stecken.

Technisches: An der Effingerstrasse wird längst die neue (vielversprechende) Saison geplant… Leonce und Lena ist selbstredend in den diversesten Ausgaben verfügbar, zum Beispiel – gleich mehrmals – in den gelben Büchlein, aber auch online bei zeno.org.

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