Samstag, 8. Oktober 2011

Vom Dummy zum Dandy

Zwar kann ich die Tage im Jahr, an denen ich Anzug und Krawatte trage, immer noch reichlich an meinen eigenen Fingern abzählen, aber seit einigen Jahren nähre ich dennoch ein relativ spezialisiertes Interesse an gediegener Kleidung – an Massanzügen, Farb- und Materialkombinationen, Accessoires, an Kleidungsregeln und ihrem gekonnten Brechen. Dahinter steckt freilich mehr als nur die Freude an der Eleganz, nämlich einerseits ein Faible für das gute (und gut bezahlte) alte Handwerk, das von den grossen Ketten mit ihren Sweatshops – zu enormen menschlichen Kosten notabene – fast ganz ausgelöscht worden ist, anderseits die Erkenntnis, dass hochwertige Materialien und ein langlebiger Stil die besten Voraussetzungen für Nachhaltigkeit sind. Futter für meinen Spleen liefert glücklicherweise die Blogosphäre in rauen Mengen. Mehrere Massschneider von Savile Row und anderswo ermöglichen bloggend einen Einblick in ihre Arbeit: Thomas Mahon von English Cut ist hier als Pionier zu erwähnen, aber auch beispielsweise der sehr unterhaltsame, einen Tick exzentrischere Timothy Everest. Ferner haben viele erfahrene und stilsichere Kleidungsfetischisten ein eindrückliches Corpus in Sachen Stilberatung, ‑diskussion und -kritik geschaffen. Ich nenne nur zwei von ihnen: Aus San Francisco liefert Will Boehlke unter A Suitable Wardrobe täglich eine Miszelle, präsentiert etwa sein Outfit für den Tag, stellt Preziosen aus seinem Online-Shop vor oder diskutiert historische Fotos – für mich alles zwei Etagen zu hoch, fast etwas zu manieriert, aber immer hochinteressant. Aus London seinerseits schreibt Simon Crompton auf Permanent Style. Bei ihm schätze ich neben den präzisen, gelegentlich leicht augenzwinkernden praktischen Tipps vor allem die Dokumentationen der Produktionsprozesse von Anzügen, Hemden, Schuhen und Accessoires. (Die Sendung mit der Maus lässt grüssen.)

Simon Crompton ist auch der Autor des Buches, um das es hier geht. Für die Reihe Le snob der Süddeutschen Zeitung hat er eine kleine Fibel verfasst, die in erster Linie dem interessierten Durchschnittsmann den Weg zum Massanzug ebnen will. Denn dass sich hier niemand etwas vormache: Sich als Mann korrekt zu kleiden, ist – wie man täglich auf der Strasse sehen kann – kein Kinderspiel. Es ist nicht damit getan, dass Hemd und Anzug sitzen (was sie im Fall von Massbekleidung in der Regel sollten). Darüber hinaus gilt es, Stoffe, Farben und Texturen richtig zu kombinieren, um für das jeweilige Klima korrekt ausgerüstet zu sein und gleichzeitig das erforderte Niveau an Formalität zu treffen. Ferner sind die Hauptelemente der Bekleidung mit Krawatte, Einstecktuch und Manschettenknöpfen gekonnt, aber dezent abzuschmecken. Der erfahrene Dandy setzt mit den Socken einen zusätzlichen Akzent, stets besorgt, den überaus schmalen Grat zwischen Virtuosität und Peinlichkeit nicht zu verfehlen. Als Krönung wird schliesslich dieses unter Einsatz sämtlicher Mittel perfekt komponierte Ensemble an einem Punkt gezielt so zerstört, dass der Eindruck entsteht, man hätte sich nur eben etwas übergeworfen – wofür der Italiener den schönen Begriff sprezzatura verwendet. Wahrlich, da fallen mir doch spontan ein Dutzend hervorragende Argumente ein für meine gewohnte Alltagsuniform, dunkelblaue Jeans und gut sitzendes schwarzes Hemd…

Ich selber hätte also Le snob: Tailoring eigentlich nicht zu kaufen gebraucht, da ich sowohl finanziell als auch beruflich weit ausserhalb der Zielgruppe stehe. Wer aber Repräsentationspflichten hat, eine Erbschaft durchbringen muss, oder einfach gutes und solides Handwerk schätzt, findet in diesem praktischen, kleinen Buch einen idealen Führer auf dem Weg zum gebildeten Dandy.


Technisches : Simon Crompton, Le Snob Tailoring. München, Süddeutsche Zeitung Edition 2011. ISBN 978 3 86615 844 3. Das Buch erschien zunächst auf Deutsch, ist aber inzwischen bei Hardie Grant Books auch in der Sprache erhältlich, in der es ursprünglich geschrieben wurde.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen