Freitag, 9. März 2012

Banker enthaupten

Gefragt, was ihn dazu bewogen habe, Der Name der Rose zu schreiben, antwortete Umberto Eco seinerzeit, er hätte den Drang gehabt, einen Mönch zu vergiften. Ob es Petros Markaris mit Ληξιπρόθεσμα δάνεια (Fällige Kredite) ähnlich erging? Ob er den Drang verspürte, einen Banker zu enthaupten? Damit hat er freilich seinen Detektiv, Kommissar Charitos, ziemlich in die Bredouille gebracht. Denn solches, nämlich als Selbstjustiz umgesetzte Bankenkritik, kommt international überaus schlecht an, vor allem zu einer Zeit, da ohnehin schon alle gebannt und etwas herablassend auf Griechenland schauen. Entsprechend gross ist die Hektik in Polizei und Politik. Zunächst beherrscht Charitos‘ Intimfeind Stathakos, Chef der Antiterror-Abteilung, die Szene. Dessen wilde Theorie, dass eine Terrororganisation hinter dem Mord stecken müsse, überzeugt unseren Helden nicht im Geringsten, dafür die nationale und internationale Öffentlichkeit – und die zählen offenbar mehr als der gesunde Menschenverstand. Charitos ist gezwungen, mit angezogener Handbremse zu ermitteln, um dem Platzhirsch nicht zu öffentlich in die Parade zu fahren. Entsprechend kommt er trotz schöner punktueller Erfolge kaum voran, währenddem spektakuläre Plakataktionen und weitere Morde die Öffentlichkeit aufrütteln.

So hat Markaris genügend Zeit, in diesem ersten Band seiner Trilogie der Krise über Griechenland im Sommer 2010 nachzudenken. Aus der Sicht eines ausländischen Lesers ist es nicht das geringste Verdienst dieses Krimis, dass er aufzeigt, was die reichlich abstrakten Berichte und Beschlüsse konkret bedeuten, die uns aus Griechenland in betäubender Regelmässigkeit erreichen. Wohlgemerkt: Das Buch spielt lange bevor die Hilfe der europäischen Partner Griechenlands Wirtschaft erwürgt hat. Dennoch spürt jeder in Charitos‘ kleinem Umfeld die Krise: Er selber kann sich immerhin glücklich schätzen, dass er seine Tochter Katerina studieren und dissertieren lassen konnte, bevor die Talfahrt begann, muss aber fürs Erste mit ein paar Jahren Arbeit mehr rechnen bis zur Rente. Seine Kollegen mit kleineren Kindern bezweifeln rundheraus, ob sie sich deren Ausbildung überhaupt noch leisten können. Koula, die Sekretärin seines Chefs, hat ein ganz anderes Problem: Im Namen der Gleichberechtigung muss auch sie nun vierzig volle Jahre gearbeitet haben, bevor sie in Pension gehen kann. Entweder zieht sie ihre Kinder nebenbei gross, oder ihre Rente verspätet sich. Katerina macht ein unbezahltes Praktikum; der zurechtgestutzte Lohn ihres Ehemannes Fanis, Arzt an einer öffentlichen Klinik, ermöglicht dem jungen Paar nur eine spärlich möblierte Wohnung und kaum mehr einen Abend im Restaurant.

In einer Mischung aus Fatalismus und Pflichtgefühl ermittelt Charitos weiter. Sein Instinkt hat ihn natürlich nicht getrogen, und nachdem sich sein Konkurrent öffentlich blamiert hat, hat er selber endlich freie Bahn. Mit zäher Detailarbeit, untrüglichem Bauchgefühl und tatkräftiger Unterstützung von Koula, die sich an die Front versetzt als Naturtalent erweist, gelingt es Charitos endlich, die diversen Fäden, die er erhascht hat, zu jenem Netz zu verknüpfen, das sich lückenlos um den Mörder zusammenzieht. Die Auflösung ist allerdings fast zu perfekt: Die Mordopfer sind allesamt widerliche Gestalten, der Mastermind des Verbrechens dadurch fast schon ein Wohltäter, der zudem seine Komplizen nur soweit nötig und immer abstreitbar mit Schuld belastet hat und einem Winkelried gleich sich selber für seine hehre Sache opfert. Das ist als literarische Konstruktion grossartig, aber als tatsächlicher Verbrechensplot ein kleines Bisschen unrealistisch. Dem Lesevergnügen tut dies freilich keinen Abstrich.


Technisches: Auf Deutsch ist Ληξιπρόθεσμα δάνεια unter dem Titel Faule Kredite 2011 bei Diogenes erschienen, übersetzt wie immer von Michaela Prinzinger (ISBN 978 3 257 06793 4). Das griechische Original ist bei Gavriilidis erhältlich. Teil zwei der Trilogie der Krise liegt bereits vor (Περαίωση, 2011), und Markaris sitzt gegenwärtig am dritten Teil.

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