Freitag, 2. März 2012

Heilige Strippenzieher

In den letzten Monaten macht der Vatikan seinem zweifelhaften Ruf als Weltzentrum der Intrigen wieder einmal alle Ehre. Da war zunächst der auf Wikileaks aufgetauchte Brief von Erzbischof Carlo Maria Viganò, seinerzeit die Nummer zwei im Governatorato, der Regierung des Vatikanstaates, an Benedikt XVI, in welchem er von seinen Bemühungen berichtet, mit Korruption und Vetternwirtschaft in den heiligen Palästen aufzuräumen, und den Papst bittet, ihn nicht ausgerechnet jetzt wegzubefördern, da er sich kurz vor dem Ziel wähnt. Genau dies ist freilich passiert: Viganò ist nun Apostolischer Nuntius in Washington, ein prestigeträchtiger Top-Job innerhalb der päpstlichen Diplomatie, aber eben weit entfernt vom Machtzentrum. Und vor ein paar Wochen machte ein seltsames angebliches Mordkomplott gegen Papst Benedikt XVI und seine rechte Hand, Tarcisio Kardinal Bertone SDB, die Runde in den Medien. Das las sich zwar so wirr wie Dan Brown mit Alzheimer; die Reaktion der Presse zeigte jedoch deutlich, dass diese den vatikanischen Eminenzen buchstäblich alle Schandtaten zutraut.

Die Gefahr ist freilich, dass solch krude Theorien von den tatsächlichen Strippenziehern in der katholischen Hierarchie ablenken. Denn dass im Vatikan diverse Seilschaften mit unterschiedlichem Erfolg um Einfluss ringen, steht ausser Zweifel. Hilfreicher als aufgeregte Zeitungsartikel ist in dieser Hinsicht das Buch von Hanspeter Oschwald, Im Namen des Heiligen Vaters. Oschwald, ein Vatikankenner mit jahrzehntelanger Erfahrung, verspricht im Untertitel nichts weniger als aufzuzeigen, „wie fundamentalistische Mächte den Vatikan steuern“. Seine zentrale Aussage: Wer verstehen will, was wie läuft im Vatikan unter Benedikt XVI, tut gut daran, die neuen konservativen und charismatischen Bewegungen in den Fokus zu nehmen.

Erstere sind einem breiteren Publikum bekannt, vor allem das berüchtigte Opus Dei, aber auch die militärisch-elitäre Kongregation der Legionäre Christi, die freilich in den letzten Jahren hauptsächlich wegen des skandalösen Doppellebens ihres Gründers Schlagzeilen gemacht hat. Die neuen charismatischen Bewegungen stehen weniger im Rampenlicht: Die Focolarini, Comunione e Liberazione und der Neokatechumenale Weg sind vordergründig von Laien dominierte Erweckungsbewegungen, welche die Offenheit des Zweiten Vatikanischen Konzils mit einer sehr konservativen Spiritualität und teils sektenähnlichen Gehorsamsstrukturen kombinieren. Hinter den Kulissen streben sie jedoch auf nicht immer nur subtile Weise nach handfestem Einfluss in der Hierarchie. Wer innerkirchlich Karriere machen will, tut offensichtlich gut daran, sich mit diesen Bewegungen gut zu stellen. Oschwald zählt darüber hinaus auch die Gemeinschaft von Sant’Egidio zu den heimlichen Strippenziehern. Er hegt zwar sichtlich Sympathien für die linkskatholisch dominierte „UNO von Trastevere“, die durch ökumenische Offenheit und friedensstiftende Diplomatie bekannt geworden ist, kann ihr aber einen ausgeprägten Machtinstinkt dennoch nicht absprechen. (Ihr Gründer Andrea Riccardi ist übrigens inzwischen Minister ohne Portefeuille in der Expertenregierung Monti – soviel zum Thema Machtstreben.)

Hanspeter Oschwald liefert zahllose Indizien für seine These, und Im Namen des Heiligen Vaters liest sich packend wie ein Krimi. Das Buch leidet allerdings unter zwei Mängeln. Der erste ist gewissermassen unvermeidlich: Wie die regelmässigen Enthüllungen zahlreicher bestens informierter Vatikanisten belegen, gibt es zwar innerhalb der römischen Kurie genügend lose Mäuler, die gerne pikante Interna ausplaudern, wenn es ihrer Sache dient. Aber es ist praktisch unmöglich, aus dieser verschwiegenen Welt belastbare Informationen herauszukriegen. So kann auch Oschwald eine Fülle meist beunruhigender Details liefern, muss jedoch über weite Strecken im Ungefähren bleiben und sich auf Andeutungen, Vermutungen und Gerüchte beschränken. Das schränkt den Wert seiner Aussagen natürlich ein – oder anders ausgedrückt: Um zu vermuten, dass das Opus Dei grossen Einfluss im Kardinalskollegium hat, brauche ich nicht extra ein Buch zu lesen.

Der zweite Mangel wiegt umso schwerer, als dass Oschwald ein altgedienter Journalist und langjähriger Leiter der Burda-Journalisten-Schule ist. Seinem Buch mangelt es nämlich empfindlich an Stringenz. Mehrmals steigt er mit einer pikanten Anekdote ins Thema ein, verpasst es dann aber, präzise den Bogen zum Kern hin zu schlagen. Viele Kapitel stehen reichlich unverbunden nebeneinander, Querbezüge fehlen häufig, einzelne Themen werden mehrfach von neuem behandelt. Vor allem vermisste ich die inhaltliche Geschlossenheit. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, als hätte Oschwald nichts weniger als eine Fundamentalkritik von Benedikts Pontifikat angestrebt. So berechtigt eine solche ist: Ein Buch, das die heimlichen Strippenzieher entlarven will, hätte gut daran getan, nicht auch noch die Umstände von Ratzingers Wahl, den päpstlichen Geheimdienst und die Situation der Frauen in der Kirche ausführlich durchzunehmen. So aber sitzt man nach der Lektüre ein bisschen wie betäubt da; als hätte man einen Haufen bunter Steinchen betrachtet, aber kein fertiges Mosaik. Ich tröste mich mit dem Wissen, dass dies das Schicksal jeder zeitgeschichtlichen Darstellung ist, und dass allenfalls aus historischer Distanz ein schlüssiges Bild entstehen kann.


Technisches: Hanspeter Oschwald, Im Namen des Heiligen Vaters. Wie fundamentalistische Mächte den Vatikan steuern. München, Heyne 2010. ISBN 978 3 453 16724 7. Das Buch ist, wenn ich richtig sehe, nurmehr als E-Book erhältlich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen