Wie ein Profi einen Mordfall löst, davon habe ich ehrlich
gesagt keine Ahnung. Ich weiss nur, dass in Krimis der Kommissar sich jeweils
mühsamst vom einen Zeugen zum nächsten vorkämpft, unterstützt von
Gerichtsmedizin, Spurensicherung und mürrischen Assistenten hunderte von
Elementen und Indizien sammelt und schliesslich – oft mit Hilfe eines etwas
zufälligen Zufalls – das entscheidende davon identifiziert und so den Fall
aufdröselt. Was der Held immer braucht, ist sein in langer Erfahrung
geschärfter sechster Sinn für sein Terrain und seine Pappenheimer. Was aber,
wenn der Kommissar Gegend und Bewohner gar nicht kennt, weil er kein
Einheimischer ist? Und wenn sich das ganze ausgerechnet im ländlichen, sich ungezügelt
urbanisierenden Sardinien abspielt, wo jeder Stein eine Geschichte hat, wo man
in Fabeln und Legenden denkt und lebt?
Auf dieser Spannung baut Marcello Fois seinen Krimi Der Tod wäscht alles rein auf.
Commissario Sanuti lässt sich aus Rimini für ein Jahr nach Sardinien versetzen.
Der Luftwechsel erweist sich als relativ anstrengend, denn im Mordfall Michele
Marongiu, der ihm an seinem zweiten Arbeitstag am neuen Ort unterkommt, steht
er wie der Esel am Berg da. Es wird schnell klar, dass sich hinter dem
Offensichtlichen viel anderes verbergen muss; wie flüchtige Juckreize kitzeln
zuhauf seltsame Indizien des Inspektors Gehirn; und die Einsicht, dass die
Lösung wohl offen daliegen würde, wenn er nur die Lebensgeschichten dieser
Unbekannten kennen würde, frustriert ihn endlos. Wer profitiert von der
Baustelle, auf der der Tote gefunden wurde? Wem gehört das Terrain, wer ist der
Bauunternehmer? Wie sind sie politisch vernetzt? Weshalb hat sich der Bruder
des Opfers vor einigen Jahren das Leben genommen? Wer sind oder waren seine
Eltern, und welche Geschichte hatten sie? Wer das alles wüsste, hätte den Fall
wohl schon so gut wie gelöst.
Schritt um Schritt werden uns diese Geschichten erzählt. Der
erfahrene Staatsanwalt Corona und der pensionierte Carabinieri-Maresciallo Pili
bringen dem armen Sanuti zunächst zögernd, danach freigebiger behutsam den
lokalen Background bei. Marcello Fois zelebriert die Not des Erkennens, indem
er verschwörerische Anspielungen einstreut, öfter die Perspektive und die Zeit
wechselt und diverse ungenannte Erzähler berichten lässt. Für meinen Geschmack
ist das alles ein bisschen zu prätentiös. (Ich erinnere mich an Unter den Mauern Bolognas von Fois‘
Kollegen Loriano Macchiavelli, wo mir der altkluge und geschwätzige Erzähler
auch etwas mühsam vorgekommen war.) Freilich gelingt es ihm so, eine düstere
Atmosphäre zu schaffen und eine komplexe Geschichte auf komplexe Weise zu
erzählen. Der Leser tut gut daran, den Kopf bei der Sache zu haben.
Technisches: Marcello
Fois, Der Tod wäscht alles rein. Aus dem Italienischen von Monika Lustig. München,
List 2002. ISBN 3 548 68041 0. Auf Italienisch ist das Buch unter dem Titel
Dura Madre 2001 bei Einaudi in Turin erschienen (derzeit nur noch als eBook
erhältlich). Die deutsche Übersetzung verdient eine spezielle ehrenvolle
Erwähnung, weil sie dem sprachlich und sprachspielerisch nicht einfachen Text
gut gerecht wird.
Sonntag, 6. Mai 2012
Der Tod wäscht alles rein
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