Schon vor einigen Jahren hat Direktor Ernst Gosteli
ernüchtert festgehalten, das Theater an
der Effingerstrasse habe inzwischen wohl den gesamten weltweiten Vorrat an Einpersonenstücken
durchgespielt. Für die kleine, knapp kalkulierende Bühne kann jeder zusätzliche
Schauspieler potentiell das Budget ins Minus kippen lassen. Umso mehr
Kreativität fliesst alljährlich in die Gestaltung des Spielplans, der Klassiker
des Repertoires mit neu geschriebenen Stücken kombiniert und sich mit sicherer
Hand in der Literatur und beim Film bedient. Zum Saisonschluss gabs einen (grosszügig
besetzten) Rückblick ins deutsche Kino der Siebziger: Angst essen Seele auf, Rainer Werner Fassbinders Geschichte über
die unmögliche Liebe zwischen einer deutschen Witwe und einem zwanzig Jahre
jüngeren Marokkaner.
Das war nun nicht nur episches Theater, sondern geradezu
Anti-Theater. Auf der Bühne agierten wandelnde Klischees, mit gröbstmöglichem Meissel
geformte Figuren. Keinen Moment konnte man sich dem Fluss der Geschichte
überlassen, jede Geste, jeder Satz war über- und zugespitzt. Martin Helstone
als Ali musste jenes guttural akzentuierte Infinitiv-Deutsch sprechen, das in
Film und Theater den Ausländer markiert. Die bedauernswerte Karo Guthke
verkörperte die Kneipenwirtin Barbara als menschgewordenen Fettfleck. Emmis
Kinder, Nachbarinnen und Kolleginnen zeigten einen durch keine Konventionen
abgemilderten Rassismus: „Schweine sind das, Schweine“ war die typische
Reaktion auf die geringste Erwähnung eines Ausländers. So entwickelte sich bedeutungsschwanger, sehr didaktisch und
etwas langweilig die zunehmende, brutale Isolation des Liebespaares Emmi und
Ali von seiner gesamten Umwelt.
Nach der Pause wurde das Stück vielschichtiger. Als wäre
Emmis verzweifelt-utopischer Wunsch wunderbarerweise in Erfüllung gegangen,
fanden die beiden Frischvermählten nach ihrer Hochzeitsreise, die eher eine
Flucht war, ein überraschend verändertes Umfeld vor. Noch reserviert, aber
durchaus freundlich knüpften die vormals schneidend Feindseligen wieder
Kontakte. Doch die Annäherung hatte ihren doppelten Preis: Die meisten suchten
Emmis Nähe aus schierem Eigennutz, und sie erkaufte die wieder entstehenden
Beziehungen damit, dass sie sich ihrerseits distanzierte – von ihrer neuen
jugoslawischen Kollegin beispielsweise, aber auch (andeutungsweise) von ihrem
Mann. Mit dem Ende des gegnerischen Sperrfeuers erstarb auch die
Schicksalsgemeinschaft zwischen Ali und Emmi. Das Stück schloss jedoch völlig
offen – illusionslos und dennoch hoffnungsvoll.
Dass die Geschichte so klischiert erzählt wurde, erschwert
ihre Würdigung. Kaum ein Akteur konnte den Holzschnitt seiner Figur nuancieren,
aber das schien auch nicht gewollt zu sein. Erwähnung verdienen immerhin
Giulietta S. Odermatt, die unter der betulich-naiven Oberfläche ihrer Emmi der
schleichenden Entsolidarisierung beklemmenden Ausdruck verlieh, und Robert
Runer, der den Kolonialwarenhändler Angermayer als erschreckend lebensnahen
Alltagsrassisten porträtierte. Ein Meisterwerk war die Bühne von Peter
Aeschbacher, auf der einige wenige Requisiten einzig durch die Lichtregie und
das Ziehen eines Vorhangs von der Kneipe zum Treppenhaus, vom Wohnzimmer zum
Laden wurden. Die Inszenierung von Regisseur Stefan Meier jedoch war ein
sperriges Stück politisch-engagiertes Theater, das wie aus einer fernen Zeit
gefallen schien.
Technisches: Angst
essen Seele auf wird am Theater an der Effingerstrasse noch die kommende Woche gespielt. Dann ist Saisonschluss, und wir können uns eine Sommerpause lang auf das
spannendste Programm freuen, das an der Effingerstrasse in den letzten Jahren
angekündigt war. Der Film von Rainer Werner Fassbinder lief vor ein paar Tagen
bei arte und ist deshalb noch bis am Mittwoch in der arte-Videothek abrufbar.
Sonntag, 24. Juni 2012
Klischee essen Stück auf
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