Sonntag, 23. September 2012

Bis bald

Wer Augen hat zum Sehen, der könnte dauerschmunzelnd oder -kopfschüttelnd durch die Welt gehen: An jedem Wegrand und in jeder Situation lauern groteske Momente, die unser Unterbewusstes wohl aus Effizienzgründen meist ausblendet. Erst wenn wir einen jener raren Menschen treffen, denen dauernd Absurdes widerfahren zu scheint, amüsieren wir uns darüber und bedauern vielleicht, selber nicht so viel zu erleben – oder zu bemerken. Einen solchen Menschen porträtiert Markus Werner in seinem Roman Bis bald: Lorenz Hatt, Leiter der kantonalen Denkmalpflege. Sein Bericht über seine Herzerkrankung, einem stummen Gesprächspartner vom Krankenbett aus erzählt, liest sich wie eine Bestandsaufnahme aus Absurdistan. Da tauchen Figuren auf wie der Elektroniker Grünberg aus Ohio, Hatts Zufallsbegleiter in den Ruinen von Karthago (wo ihn sein Infarkt ereilt), der zunächst dumme Fragen zur Geschichte stellt und sich nachher im Spital rührend (und eben: grotesk rührend) um den Kranken kümmert. Da ist die Tischgesellschaft im Sanatorium, eine Männerrunde, die sich im Tanz um die einzige Frau zu immer übleren Selbstinszenierungen antreibt. Da ist die Wiederbegegnung mit seiner Ex-Frau, wo sich Rührseligkeit mit dem Ekel davor behände abwechselt. Und da sind all die kleinen Objekte, an denen sich das Groteske festmacht – klassisch etwa Grünbergs Souvenir aus dem Souk, ein Vogelkäfig aus Keramik, der im Spital verloren geht, irgendwann wieder auftaucht und Hatt am Flughafen fast in den Knast bringt. Alles Banalitäten, Alltägliches, nichts Besonderes; aber der Blick von aussen, den dem Denkmalpfleger zur zweiten Natur geworden ist, heftet sich daran fest, und die simple, distanzierte und immer etwas verständnislose Beschreibung legt die den Dingen innewohnende Absurdität bloss.

Die Lektüre war ein seltener Genuss. Markus Werners Lorenz Hatt erzählt assoziativ und mäandernd, ein Wort gibt das andere, Exkurse schachteln sich wie natürlich ineinander, da und dort zischen ansatzlos schneidende Randbemerkungen heraus. Nur vordergründig ist Bis bald ein Bericht über eine Krankheit; in Wahrheit handelt es sich um einen Essay über alles, und Werner beherrscht die Kunst des Aphorismus, fasst Komplexes in die kürzest mögliche Wendung. Zur Fortpflanzung: Ich sehe nicht ein, warum die Leute unablässig Kinder in die Welt setzen, nur damit Söhne heranwachsen, die auch wieder Bier trinken und blöd herumschwadronieren, nur damit Töchter heranwachsen, die auch wieder Teigwaren kochen. Zur Schweizer Classe politique: Wie sollen Leute, die ach- und ich-Laut nicht auseinanderhalten können, in der Lage sein, die wirklich schwierigen Probleme zu bewältigen? Zum Überraschungstod: Ich weiss, er gilt den meisten als der schönste, obwohl man ihn nur den bequemsten nennen dürfte. Dieser Hatt ist ein Zyniker, der seinen Zynismus kultiviert, um seine Desillusion zu kaschieren; aber da er ein trocken-witziger Beobachter ist, verzeiht man ihm manches. Und man erkennt in Hatts Versuch des kontinuierlichen Sich-Distanzierens die eigenen Erfahrungen, mit der Unbewältigbarkeit der Welt umzugehen.

So vor zehn, fünfzehn Jahren war Markus Werner plötzlich eine Art Shooting Star der Schweizer Literatur. Plötzlich schien alle Welt von seiner lakonischen Prosa zu schwärmen, von seinen präzisen Analysen von Menschen in einer Extremsituation; und wer eine Lesung miterlebt hatte, berichtete so fasziniert wie irritiert von diesem fast krankhaft scheuen Autor, der zurückgezogen und spartanisch ganz für seine Literatur und von ihr lebte. Dann schwoll der Hype ähnlich schnell wieder ab, jedenfalls in meiner Wahrnehmung. Hätte nicht L. vor kurzem Platz geschaffen auf ihren Regalen und mir zwei seiner Bücher geschenkt, hätte ich wohl kaum mehr etwas von Werner gelesen. Das wäre, wie sich gezeigt hat und hoffentlich noch weiter zeigen wird, nicht nur ein bisschen, sondern richtig schade gewesen.

Technisches: Markus Werner, Bis bald. Roman. München, dtv 31997. ISBN 3 423 12112 2. Die Erstausgabe ist 1992 im Residenz-Verlag erschienen und inzwischen als Fischer Taschenbuch erhältlich.

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