Wer Augen hat zum Sehen, der könnte dauerschmunzelnd oder
-kopfschüttelnd durch die Welt gehen: An jedem Wegrand und in jeder Situation
lauern groteske Momente, die unser Unterbewusstes wohl aus Effizienzgründen
meist ausblendet. Erst wenn wir einen jener raren Menschen treffen, denen
dauernd Absurdes widerfahren zu scheint, amüsieren wir uns darüber und bedauern
vielleicht, selber nicht so viel zu erleben – oder zu bemerken. Einen solchen
Menschen porträtiert Markus Werner in seinem Roman Bis bald: Lorenz Hatt, Leiter der kantonalen Denkmalpflege. Sein
Bericht über seine Herzerkrankung, einem stummen Gesprächspartner vom
Krankenbett aus erzählt, liest sich wie eine Bestandsaufnahme aus Absurdistan. Da
tauchen Figuren auf wie der Elektroniker Grünberg aus Ohio, Hatts
Zufallsbegleiter in den Ruinen von Karthago (wo ihn sein Infarkt ereilt), der
zunächst dumme Fragen zur Geschichte stellt und sich nachher im Spital rührend
(und eben: grotesk rührend) um den Kranken kümmert. Da ist die
Tischgesellschaft im Sanatorium, eine Männerrunde, die sich im Tanz um die
einzige Frau zu immer übleren Selbstinszenierungen antreibt. Da ist die
Wiederbegegnung mit seiner Ex-Frau, wo sich Rührseligkeit mit dem Ekel davor behände
abwechselt. Und da sind all die kleinen Objekte, an denen sich das Groteske
festmacht – klassisch etwa Grünbergs Souvenir aus dem Souk, ein Vogelkäfig aus
Keramik, der im Spital verloren geht, irgendwann wieder auftaucht und Hatt am
Flughafen fast in den Knast bringt. Alles Banalitäten, Alltägliches, nichts
Besonderes; aber der Blick von aussen, den dem Denkmalpfleger zur zweiten Natur
geworden ist, heftet sich daran fest, und die simple, distanzierte und immer
etwas verständnislose Beschreibung legt die den Dingen innewohnende Absurdität
bloss.
Die Lektüre war ein seltener Genuss. Markus Werners Lorenz Hatt
erzählt assoziativ und mäandernd, ein Wort gibt das andere, Exkurse schachteln
sich wie natürlich ineinander, da und dort zischen ansatzlos schneidende
Randbemerkungen heraus. Nur vordergründig ist Bis bald ein Bericht über eine Krankheit; in Wahrheit handelt es
sich um einen Essay über alles, und Werner beherrscht die Kunst des Aphorismus,
fasst Komplexes in die kürzest mögliche Wendung. Zur Fortpflanzung: Ich sehe nicht ein, warum die Leute
unablässig Kinder in die Welt setzen, nur damit Söhne heranwachsen, die auch
wieder Bier trinken und blöd herumschwadronieren, nur damit Töchter
heranwachsen, die auch wieder Teigwaren kochen. Zur Schweizer Classe
politique: Wie sollen Leute, die ach- und
ich-Laut nicht auseinanderhalten können, in der Lage sein, die wirklich
schwierigen Probleme zu bewältigen? Zum Überraschungstod: Ich weiss, er gilt den meisten als der
schönste, obwohl man ihn nur den bequemsten nennen dürfte. Dieser Hatt ist
ein Zyniker, der seinen Zynismus kultiviert, um seine Desillusion zu
kaschieren; aber da er ein trocken-witziger Beobachter ist, verzeiht man ihm manches.
Und man erkennt in Hatts Versuch des kontinuierlichen Sich-Distanzierens die
eigenen Erfahrungen, mit der Unbewältigbarkeit der Welt umzugehen.
So vor zehn, fünfzehn Jahren war Markus Werner plötzlich eine
Art Shooting Star der Schweizer Literatur. Plötzlich schien alle Welt von seiner
lakonischen Prosa zu schwärmen, von seinen präzisen Analysen von Menschen in
einer Extremsituation; und wer eine Lesung miterlebt hatte, berichtete so
fasziniert wie irritiert von diesem fast krankhaft scheuen Autor, der
zurückgezogen und spartanisch ganz für seine Literatur und von ihr lebte. Dann schwoll
der Hype ähnlich schnell wieder ab, jedenfalls in meiner Wahrnehmung. Hätte
nicht L. vor kurzem Platz geschaffen auf ihren Regalen und mir zwei seiner
Bücher geschenkt, hätte ich wohl kaum mehr etwas von Werner gelesen. Das wäre,
wie sich gezeigt hat und hoffentlich noch weiter zeigen wird, nicht nur ein
bisschen, sondern richtig schade gewesen.
Technisches: Markus
Werner, Bis bald. Roman. München, dtv 31997. ISBN 3 423 12112 2. Die
Erstausgabe ist 1992 im Residenz-Verlag erschienen und inzwischen als Fischer Taschenbuch erhältlich.
Sonntag, 23. September 2012
Bis bald
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen