Hier ist König Albrechts Blut in den Boden gesickert. Von
hier aus hat sein Sohn Leopold die Rache an des Vaters Mördern begonnen. Und
hier hat Albrechts Witwe, Königin Elisabeth, ein Feld abgemessen, das nicht dem
Kampf noch der Rache, sondern der Ruhe und dem Gebet geweiht sein sollte: das
Doppelkloster Königsfelden. Hoch und elegant ragt das Mittelschiff im
Bettelordenstil empor; im Inneren beeindrucken glasklare Formen, sparsame
Ornamente unterstreichen das blendende Weiss der renovierten Wände, ein
schlichter Lettner versperrt den Blick nach vorne, der Blick darüber hinweg
erahnt aber im abendlich dunklen Chor die gotischen Glasfenster, die zu den
schönsten der Welt gehören.
Nach Mit Chrüüz und Fahne
in Villmergen also schon wieder Theater am historischen Schauplatz im Aargau.
Der Anlass ist aber kein Jubiläum, sondern eine Tradition: Alle paar Jahre
bezieht das Königsfelder Festspiel
die Klosterkirche und bringt ein Tanzstück biblischen oder historischen Inhalts
zur Uraufführung. Diesjähriges Thema ist die Geschichte des Ortes selber. Es
liegt ein grosses dramatisches Potenzial in diesem Unternehmen Paradies, diesen beiden Strategien, mit denen König
Albrechts Angehörige auf den Mord reagieren, der männlichen des Sohnes und Erben,
der Rache sucht (suchen muss), und der weiblichen der Witwe, die sich um das
Seelenheil des Verstorbenen sorgt und damit gleichzeitig Raum für Frieden und
Versöhnung schafft. Und wie es in Königsfelden Brauch ist, wird dieses Geschichte
im dichten Zusammenspiel von Musik, Bewegung und Licht erzählt. Der Begriff „Gesamtkunstwerk“
ist hier so angebracht wie selten. Der Tanz ist eher erzählerische Bewegung als
Ballett; die Musik ist nicht lediglich Begleiterin, sondern gleichberechtigte
Partnerin; und beide, Tanz und Musik, forschen den einzigartigen Raum aus, machen
ihn sich zu eigen: Durch das schmale Tor im Lettner sieht man Schemen und
Lichter im Chor; von rechts, hinter den Säulen zum Seitenschiff hervor, ertönt
die Musik; die Sängerinnen und Sänger stehen bald oben auf dem Lettner, bald
mitten in der Handlung, bald sind sie irgendwo verborgen.
Ausgeführt wurde das alles unter der Gesamtleitung von Peter Siegwart mit grosser Perfektion. Das Vokalensemble Zürich sang mit atemberaubender Schönheit Bach, Monteverdi und Siegwart
selber; die individuellen, Alltagskleidern ähnlichen Kostüme (Sabine Schnetz),
welche die zehn Sängerinnen und Sänger anstelle der sonst üblichen schwarzweissen
Choruniform trugen, machten augenfällig, dass es sich nicht um namenlose
Choristen, sondern um Solisten von höchstem Niveau handelte. Die Musiker des Ensemble la fontaine und die ad hoc
rekrutierten Mitglieder des Tanzensemble
Königsfelden (Choreografie Félix Duméril) standen ihnen in nichts nach. Das
Lichtdesign von Bert de Raeymaecker machte den Raum erlebbar. Als schönste
Passagen sind mir zwei im Gedächtnis geblieben: Der Tumult der Rachefeldzüge, in
deren Mitte Königin Elisabeth und ihre Tochter Agnes ruhig, edel und bestimmt den
Raum für Stille und Gedenken sich aneigneten. Und das Zur-Ruhe-Kommen der Schlussszene
in der halbdunkeln, von Kerzen beschienenen Kirche, über der, jetzt von aussen
angestrahlt, die kostbaren Glasfenster leuchteten wie das himmlische Jerusalem.
Technisches:
Unternehmen Paradies ist noch die nächste Woche (Mittwoch bis Samstag) zu sehen,
Karten gibt es online. Letzten Mittwochabend waren leider einige Reihen nicht
besetzt – es sollte also wohl noch Plätze geben, und es wäre schade, wenn sie
leer blieben. Einziger Wermutstropfen: Wer bis zur Abfahrt seines Zuges noch
ein Glas trinken möchte, sucht sowohl im Festspielbistro als auch in der näheren
Umgebung des Bahnhofs Brugg vergeblich. Einzig direkt die Altstadt anzusteuern,
wäre wohl eine gewinnbringende Strategie gewesen.
Sonntag, 9. September 2012
Unternehmen Paradies
Labels: Architektur, Kultur, Musik, Tanz, Theater
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