Findige Verleger haben es längst gemerkt: An
Ferienerinnerungen lässt sich im Literaturmarketing trefflich anknüpfen. Was
Donna Leon recht war, soll mir billig sein, scheint sich manch einer zu sagen;
und so übertreffen sich die Klappentexte gegenseitig mit der Versicherung,
umstehend lasse sich in das authentische Florenz, Triest, Bologna oder
Sardinien eintauchen. (Die Rezensenten spielen das Spiel denn auch brav mit,
sprechen von der „lebendigen, bunten Schilderung der Stadt“
oder halten mit der nötigen Dosis Kritik fest, dass der Autor seine Stadt
„alles andere als idyllisch [schildert], aber so liebevoll, dass man gleich
hinfahren möchte.“) Einen Stapel
solcher Bücher, allesamt Krimis und meist in Italien spielend, hat mir L. vor
einiger Zeit ausgeliehen. Da ist ziemlich alles dabei, vom schalen Misserfolg Das Geheimnis der Signora, dessen Florentiner
Lokalkolorit sich auf eine Vorbeifahrt am Ponte Vecchio beschränkt, bis zu
Valerio Varesi, der seinen Commissario Soneri in komplexen Szenarien durch den
Nebel der Bassa Padana streifen lässt und von dem ich mir inzwischen sogar ein Buch auf Italienisch gekauft habe. Inzwischen bin ich fast durch, bin auf
meiner Reise durch Italien in Genua angelangt, und stelle gewisse Ermüdungserscheinungen
fest: All dieser Lokalkolorit, dieses beiläufig-eifrige Namedropping, die
beflissenen Erklärungen des Eingeborenen und die oft kunstvoll distanzierte
Schreibe wiederholen sich allmählich ein bisschen. Und Bruno Morchio macht es
einem bei der ersten Begegnung mit seinem Ermittler Bacci Pagano auch nicht gerade
leicht: Dieser altgediente Schnüffler, der seine tiefgründigen Reflektionen im
Korbsessel auf dem Balkon inszeniert und selbstgefällig mit allem ins Bett
steigt, das einen Rock trägt, erstickt beinahe unter den dicken Schichten von Klischees.
Wer dem Reiz widersteht, Wölfe in Genua umgehend wieder wegzulegen, wird jedoch mit einer starken
Geschichte und einer souveränen Dramaturgie belohnt. Ein fait divers wie aus einem Fantasyroman steht am Anfang: In den
Wäldern über Genua ist ein alter Mann offensichtlich von einem Wolf totgebissen
worden. Wilde Wölfe gibt’s dort gar nicht, aber der Mann hatte seit kurzem eine
gut dotierte Lebensversicherung, und überdies eine schöne junge Frau aus Panama.
Das riecht natürlich nach Ärger, zunächst für die Versicherung, dann für die
Frau und schliesslich noch für andere. Morchio spinnt seine Fäden mit Bedacht, lässt
Pagano überall Witterung aufnehmen, trifft präzise die Ambivalenz zwischen
abgebrühtem Instinkt und ungeschützter persönlicher Verwicklung. Der Plot
entwickelt sich konstant und schlüssig, kein Schritt kommt zu schnell, kein
Faden bleibt unverknüpft, nichts ist an den Haaren herbeigezogen, und wenn ein Deus ex machina gebraucht wird, erscheint
er in unaufgeregter menschlicher Gestalt.
Ärgerlich ist einzig, dass das grosse Lesevergnügen durch
ein paar Dummheiten getrübt wird. Paganos überdrehtes Mackergehabe habe ich
schon erwähnt; es kulminiert in einem Abend, an dem er sich zunächst mit seiner
Ex-Frau hemmungslos betrinkt und gleich danach seiner neusten, nie überwundenen
Verflossenen in die Arme und ins Bett fällt. Das ist nur noch kitschig; und
reichlich sozialkitschig ist auch die Freundschaft des Detektivs zum Sohn seiner
nubischen Putzfrau (und Affäre, klar), der ihm dafür in Genuas Immigrantenbars
die Kastanien aus dem Feuer holen muss. Wenn das alles originell sein soll, so
ist es für mich verschwendete Originalität – aber ohne Schaden überles- und
-stehbar, und somit nur ein kleiner Abstrich an der Stilnote für einen
ansonsten magistralen Krimi.
Technisches: Bruno
Morchio, Wölfe in Genua. Roman. Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler.
Zürich, Union 2007. ISBN 978 3 293 00389 7. Original erschienen bei Fratelli
Frilli, Genua, 2004, unter dem Titel Maccaia. Una settimana con Bacci Pagano.
Freitag, 7. Dezember 2012
Einsamer Wolf
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen