Ein mäandrierender, surrealer Film, der einzelne Szenen wie Pinselstriche auf die Leinwand setzt, bis man am Schluss meint, ein Bild, eine Geschichte zu erkennen – das ist „La vida es silbar“ (Das Leben ist Pfeifen), der kubanische Festivalhit des Jahres 1998 von Fernando Pérez. Traumgleich fliegt die Kamera durch Havanna, schlingt sich um die Lebensgeschichten von drei Personen: Mariana, die Tänzerin, die die Männer mit ihren Blicken aus- und in ihr Bett zieht, gelobt, diese eine Leidenschaft für eine andere zu opfern: die Hauptrolle im Ballett „Giselle“. Der Musiker Elpidio hat eine verknorzt-komplexe Beziehung zu seiner Mutter, die ihn als Kind verlassen hat und die in seinem Zimmer als überdimensioniertes Naturgöttinnenbild anwesend ist. Julia schliesslich, die Altenpflegerin, wird von Müdigkeitsattacken überwältigt und fällt augenblicklich in Ohnmacht, wenn sie das Wort „Sex“ hört.
Die drei Protagonierenden sind auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden. Die knappe Exposition in einem Waisenhaus (wo nicht gepfiffen werden darf, aber trotzdem gepfiffen wird) ist ein erster Schlüssel zu dieser Verbindung; die allwissende, göttinnen-glücksfeenhafte Erzählerin Bebé ein anderer. Vor allem aber stehen alle drei, wie immer deutlicher wird, gleichermassen an einem Wendepunkt: Wünsche, Begehren und Geheimnisse brechen durch die bereits brodelnde Oberfläche und übernehmen die Kontrolle über ihr Leben. Die Krisen und die Emotionen kristallieren sich an einem (im ersten Augenblick leicht seltsamen bis unsympathischen) Gegenüber. Marianas Partner in der ersehnten Ballettrolle lässt die Leidenschaft wieder auflodern, die sie begraben haben wollte. Elpidio verliebt sich in eine amerikanische Umweltaktivistin, die engelgleich mit dem Heissluftballon ein- und ausschwebt. Julia überwindet sich und geht zum Psychiater, der ihr Problem tatsächlich zu verstehen und zu heilen scheint. Der Film spitzt sich atemlos zu und mündet in eine plötzlich ruhige, gelassene Klimax, an diesem offenbar so bedeutungsvollen 4. Dezember, um 16:44 Uhr, auf dem Platz der Revolution. Als die drei rennend oder auch ganz zaghaft auf dem grossen leeren Platz mit dem eindrucksvollen Denkmal für José Martí eintreffen, bricht das ganz am Anfang verbotene Pfeifen wieder auf und leitet über in eine leichtfüssige, überbordende Schlussszene. Der Film ist zu Ende, die Geschichte beginnt erst.
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