Gewissermassen als Nachlese zum grossen historischen Bildband über Klöster und Orden habe ich ein schmales Büchlein von Johann Baptist Metz gelesen, das eine Frage zum Titel hat: Zeit der Orden? Metz, einer der wegweisenden katholischen Theologen der Gegenwart, Begründer der neuen politischen Theologie und Lehrer einer ganzen Generation von Theologietreibenden, stellte diese Frage bei einem Vortrag vor der Vereinigung der Deutschen Ordensoberen, und die Zeit, die er ansprach, war die damalige Gegenwart, Mitte der Siebziger Jahre; die Zeit also, in welcher die katholische Kirche, noch beschwingt durch ihren zaghaften Aufbruch in die Moderne am Zweiten Vatikanischen Konzil, aber zugleich konfrontiert mit einer zunehmend unkirchlichen Gesellschaft, sich in der Welt neu zurechtzufinden versuchte. Im Vortrag und im Buch analysiert Metz die Rolle, welche die Orden dabei spielen könnten, spielen müssten. Er geht dabei von der Prämisse aus, dass die Orden durch die Radikalität ihrer Lebensweise ganz wesentlich Mahner, ja „Schocktherapeuten“ der Kirche sind. Schon immer nämlich – das hat mir auch Kristina Krügers Buch wieder deutlich gezeigt – waren Orden und Klöster eine Antwort auf innerkirchliche Probleme mit verkrusteten Strukturen und veralteten Vorstellungen, und waren Ordensleute scharfe Ankläger ebendieser Phänomene des wohligen Sich-Einrichtens in einem sehr weltlichen Umfeld. Metz zeigt auf, dass dies kein Zufall, sondern ihre wesentlichste Funktion ist, und dass sie aus ihren besonderen Voraussetzungen stammt. Ordensleute haben keinen Besitz zu verlieren, sind an keinen Menschen gebunden, sind im Grundsatz radikaler, weil sie ihr Leben in den Dienst einer höheren Sache stellen, weil sie selber zurücktreten vor dem, was sie als eigentlich wichtig erachten.
32 Jahre später hat sich die Situation der katholischen Kirche in der westlichen Welt dramatisch verschärft. In unseren Gesellschaften bricht ihre Basis massenhaft weg (wovor Metz ausdrücklich warnte), und was noch blüht, sind bald allein die frömmlerischen Grüppchen und Traditionalisten jeglichen Couleurs bis hin zu jenen rückwärtsgewandten Ultraorthodoxen, die die Diskussion der letzten Monate beherrschten. Wollte Metz heute die Rolle und Aufgabe der Orden in der Kirche analysieren, bräuchte er in seinem Buch kaum ein Wort zu ändern. Er müsste seine Analyse einzig noch etwas zuspitzen. Von wem sonst sollte denn heute der radikale Impuls ausgehen, den die katholische Kirche braucht, um nicht weltfremd im Ghetto zu verschwinden? Doch nicht von den immer mehr zu Laufbands-Sakramentsspendern herabgewürdigten, alternden Priestern, die einsam ihre Altäre abklappern und scharf gemassregelt werden, wenn sie aufzumucken wagen; und auch nicht von den kirchlich engagierten Laien mit und ohne Amt, die zusehends brüskiert und hinausgeekelt werden. Nein, es sind die Orden, in ihrer Gemeinschaft geborgen, traditionell international vernetzt und in ihrem Charisma verwurzelt, die noch am ehesten neue Wege aufzeichnen könnten. Besonders gilt, dass Orden für sich in Anspruch nehmen können, was Metz „kirchliche Autorität“ nennt – denn diese legitimiert sich durch religiöse Kompetenz, und „das Kriterium für diese religiöse Kompetenz kirchlicher Autorität steht nicht zur Disposition; es liegt fest: es heisst 'Nachfolge'. Aus radikaler Nachfolge erwächst religiöse Kompetenz.“ (p.75f.) So hätten die Orden insbesondere die Autorität, berechtigt und unerschrocken Kirchenkritik zu üben, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Finger in die Wunde zu legen. Metz skizziert einen möglichen Punkt: Die Orden sollten eigentlich die schärfsten innerkirchlichen Kritiker des priesterlichen Pflichtzölibats sein – wenn sie nämlich die Verpflichtung zur Ehelosigkeit als ihre spezielle Eigenschaft begreifen, die ihre spezielle Rolle begründet und befördert, können sie die vorgeschriebene Ehelosigkeit der Priester ja nicht anders denn als Verwässerung dieses Charakteristikums interpretieren. Das wäre dann originelle, quergedachte innerkirchliche Kirchenkritik mit Sprengkraft.
Und weil es ihnen nie um sich selber geht, sondern immer um die Sache, um die Kirche – so Metz –, brauchen Orden auch nicht krampfhaft an Erstarrtem und Veraltetem festzuhalten. Richtig verstanden, ist selbst ihre eigene Existenz kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck. Sie haben das Potential, sich in ihrem Einsatz zu verbrauchen; zu verschwinden, ohne dies als persönliche Niederlage oder gar Schmach empfinden zu müssen. So können sie mehr wagen, mit grösserem Einsatz und Risiko die Nachfolge antreten. Dies ist für Metz der zentrale Begriff. An ihm muss sich sämtliche Aktivität messen lassen, die sich christlich nennt. Das Christentum ist in diesem Sinn eine praktische Religion: zu wissen, wie ein christliches Leben aussehen sollte, reicht nicht; man muss es auch leben. Man kann das Christsein nicht delegieren. Metz erwartet viel von den Ordensleuten. Aber seine Anfragen, seine Anforderungen stellt er nicht delegierend nur an sie, sondern an alle Christinnen und Christen. Die Zeit drängte, schon damals. Sie drängt erst recht heute. Dieses Drängen, dieses Gefühl, dass es so nicht weitergehen kann, dass Hilfe nottut, dass man sich nicht bequem im Diesseits einrichten kann: das war von Anbeginn an und bleibt weiterhin die Essenz des Christentums.
Technisches: Johann Baptist Metz, Zeit der Orden? Zur Mystik und Politik der Nachfolge. Freiburg, Herder 21997. ISBN 3-451-17724-2. Antiquarisch erhältlich z.B. via Amazon.
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