Klöster und ihre Architektur faszinieren mich seit Jahren. Entsprechend begeistert reagierte ich, als ich in der Buchhandlung das Bild eines gotischen Kreuzgangs auf einem Buch namens Orden und Klöster erblickte (auch wenn Vorsicht geboten war, lag das Buch doch auf dem Bildband-Wühltisch bei Stauffacher in Bern – dem Tisch gleich beim Haupteingang, wo vornehmlich Kunst-Bildbände gestapelt sind, die das Auge sofort fesseln, sich bereits beim kurzen Durchblättern aber in der Regel als eher substanzlose, effekthascherische Coffe-Table-Books erweisen, welche ihrem Besitzer etwas bildungsbürgerliche Aura verleihen sollen). Ein kurzer Blick in das Buch bestärkte die Begeisterung; und nach der Lektüre würde ich es als Katalysator fragmentierten Halbwissens bezeichnen – eine leider allzu rare Gattung. Kristina Krüger hat mich nämlich am richtigen Ort abgeholt; hat mein Angelesenes, Erfragtes und Erfahrenes präzisiert, meinen existierenden roten Faden verdichtet, meine Wissensfragmente miteinander verbunden, erläutert und in den historischen und sozialen Kontext gestellt.
Die Geschichte des christlichen Klosterlebens beginnt bei den Weltflüchtigen des frühen Christentums, bei den Asketen und Eremiten in Ägypten und Palästina. Eine bewusste Abkehr von der Oberflächlichkeit und Dekadenz ihrer Zeit trieb diese Sinnsucher in die Wüste. Das eremitische Element behielt seine Aktualität bis heute. Schon bald aber kamen auch Ansätze gemeinschaftlichen Lebens auf: in den Kellia der ägyptischen Wüste, an verschiedenen Bischofssitzen und in südfranzösischen Mönchsgemeinschaften. Bleibend war die Balance zwischen Einsamkeit und Gemeinschaftsleben, zwischen Gebet und Arbeit, die Benedikt von Nursia in seiner Mönchsregel kodifiziert hatte, welche durch die Jahrhunderte die wichtigste Leitschnur der Gottsucher im Westen war und regelmässig neu entdeckt und interpretiert wurde: massgebend zunächst von Benedikt von Aniane, dann von Cluny und der ihm angehörigen Reformströmung, später vom Neuanfang in Cîteaux, aus dem der Zisterzienserorden entstand.
Die Rolle der Klöster spiegelte dabei die Zeitläufte: Mit dem Verlust staatlicher Ordnung in der Völkerwanderungszeit wurden sie zu nach aussen ausstrahlenden Inseln der Überwinterung für Kultur, Bildung und Glaubenspraxis. Im Karolingerreich nahmen sie daneben auch staatspolitische Aufgaben wahr. Dem Ausnahmezustand in der Krisenzeit des 9. Jahrhunderts folgte eine Rückbesinnung auf die Anfänge und Grundlagen. Und durch den rasanten Bedeutungsgewinn der Städte im Spätmittelalter entwickelte sich eine urbane, intellektuell und religiös begierige Oberschicht, die von den traditionellen Orden kaum angesprochen wurde: So können die Entstehung und rasante Ausbreitung des Franziskanerordens gleichsam als theologische Selbsthilfe der städtischen Eliten bezeichnet werden.
Besonders interessant fand ich die wirtschaftlichen Aspekte, welche viele Phänomene der Klostergeschichte erklären. So begünstigte die wachsende Bedeutung des Totengedenkens im Frühmittelalter Cluny und seine Tochterklöster, in welchen für die verstorbenen Mönche und Wohltäter ausführlich Messen gelesen und Arme gespiesen wurden. Gleichzeitig war diese theologische Ausrichtung eine beträchtliche wirtschaftliche Belastung, und der weitgehende Verzicht darauf für die entstehenden Zisterzienserklöster entsprechend ein Gewinn – zumal diese Klöster ihren Bedarf an Arbeitern durch ihre Laienmönche deckten und deshalb fernab der Zivilisation ein relativ ungestörtes kontemplatives Leben führen konnten. In ähnlicher Weise sind die erst im Hochmittelalter vermehrt entstehenden Frauenklöster finanziell dadurch benachteiligt, dass sie für sämtliche geistliche Verrichtungen auswärtige Verstärkung durch Priestermönche bezahlen mussten. Und gewisse historisch-theologische Zusammenhänge machten mir vieles verständlicher, was ich schon gewusst hatte, ohne es zu verstehen. So wurde der Dominikanerorden als Gegenstück gegen häretische Bewegungen vor allem in Südfrankreich gegründet, was seine Fundierung als Bettelorden (wegen der durch diese Strenge erreichten moralischen Unanfechtbarkeit) ebenso erklärt wie seine Intellektualität (um den Katharern fachtheologisch Paroli bieten zu können) und seine spätere traurige Hauptrolle in der Inquisition.
Die Vielfalt der neuzeitlichen Ordensgründungen wird relativ summarisch behandelt. Ein kurzer, präziser, sehr informativer Abriss stellt dem westlichen Mönchtum das ostkirchliche gegenüber, das sich nie in verschieden geartete Orden aufgeteilt hat, sondern in dem die persönliche Gottsuche und der Erlösungswunsch jedes einzelnen Mönchs den Kern bildet. Ein eigenes Kapitel schliesst den Bogen von den frühchristlichen Asketen zu den Eremiten unserer Zeit. Ausführliche Ordens- und Heiligenlisten ergänzen das Buch zum Nachschlagewerk.
Damit ist vieles gesagt zum Text. Da Orden und Klöster ein Bildband ist, muss ich ein weniges anfügen zu den opulenten Fotos von Achim Bednorz. Die Bebilderung ist grosszügig, durchgehend mit sicherer Hand ausgewählt und informativ. Viele ganzseitigen Aufnahmen illustrieren die Strenge und Pracht der Klöster; Pläne und Details erläutern das Beschriebene. So wie Theologie und Wirtschaft immer ihren Ausdruck fanden in der Architektur, vereinigen sich Text und Bild zu einem Gesamtbild, das das Buch zu einer intellektuell anregenden wie optisch begeisternden Lektüre machten.
Technisches: Kristina Krüger: Orden und Klöster. 2000 Jahre christliche Kunst und Kultur. Herausgegeben von Rolf Toman, mit einem Beitrag von Rainer Warland. Königswinter, Tandem 2007. ISBN 978-3-8331-4069-3.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen