Freitag, 8. Mai 2009

Vom Unmittelbaren

Was ich am Theater liebe, ist seine Sinnlichkeit, die Unmittelbarkeit des Geschehens und seine Einzigartigkeit im Hier und Jetzt. Anschauungsunterricht dazu bietet am Stadttheater Bern gegenwärtig Die Bibel als Theater. Im intimen Rahmen von Vidmar:2 (und eingangs in der Ungezwungenheit des Theaterfoyers) leiht Henriette Cejpek acht Figuren, mehrheitlich Frauen, aus dem Alten Testament ihren Körper und ihre Stimme. Ganz einfach, geradezu archaisch ist die Inszenierung: Der Text folgt Luthers kantiger Bibelübersetzung, Bühne und szenische Umsetzung sind rudimentär und kraftvoll: Da wird für die Weissagung ein Kreis von Mehl auf den schwarzen Bühnenboden gestreut, und zur brutalen, körperlichen Geschichte von Tamar und Amnon wird ein weicher Teig geknetet, geschlagen, zerrissen, zermalmt. Als Theaterbesucher sitzt man der gewaltigen Erzählerin auf Atemweite gegenüber, sieht in ihre flammenden Augen, spürt ihre Wut, ihre Begeisterung, ihre Abscheu und ihre Trauer.

Ich würde mich zwar durchaus als bibelfest bezeichnen, trotzdem war mir nicht die Hälfte der Geschichten bekannt. Kaum zufällig: Die unbekannteren (wie die von Tamar) sind zum Teil von ungeschminkter Grausamkeit. Aus ihrem Kontext herausgerissen, ohne Erklärung noch Auslegung, nur durch sparsame Inszenierung interpretiert, blieben sie mir auf eigenartige Weise fremd: Der Sprachduktus war der altvertraute, die Art der Szenen auch – und doch verstand ich nicht. Noch mehr als bei anderen Theaterbesuchen gilt hier, dass man „das Buch“ lesen sollte; dass man den Geschichten in ihrem Zusammenhang nachgehen und die schlaglichtartige Umsetzung durch eigene Lektüre ergänzen sollte. Der Aufwand wäre riesig. Immerhin habe ich zuhause bereits beim Blättern in der Bibel zweierlei gelernt und verstanden: Diese Fragmente stehen in einem langen, ausführlichen Kontext, haben Vor- und Nachgeschichten und eine vielschichtige Bedeutung. Das Böse, das getan wird, hat Konsequenzen, und das Gute auch, und es sind nicht immer die offensichtlichsten. Und: In der Fülle der biblischen Geschichten überliest man solche Passagen leicht als blosse Episoden. Dass Regisseur Levy und Schauspielerin Cejpek sie auf der Vidmar-Bühne in den Mittelpunkt eines Theaterabends gestellt haben, wirkt da wie ein behutsamer, aufmerksamer Versuch zur ausgleichenden Gerechtigkeit.


Technisches: Die Bibel als Theater steht in den Vidmarhallen noch fünf Mal auf dem Programm; Karten gibts bei Bern Billett.

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