Freitag, 9. Oktober 2009

Mosaik der Vergangenheit

Die Freiburger Kantonsarchäologie stellt diesen Sommer in Charmey und Bulle in einer Doppelausstellung archäologische Funde aus dem Greyerzerland vor. Indirekter Anlass für die Ausstellung ist die bevorstehende Fertigstellung der H189, der Umfahrungsstrasse von Bulle [die hat tatsächlich eine eigene Website!?] – und damit ist eine der Kernaussagen bereits angesprochen: dass archäologische Forschung nämlich ausserhalb der ganz grossen Höhepunkte immer Fragment und Flickwerk ist. Im Greyerzerland sind es insbesondere die Grabungen entlang der Autobahn A12 und eben in den letzten Jahren der H189, die eine Spur des Verständnisses durch die Landschaft gelegt haben; ergänzt wird diese durch punktuelle Aktivitäten, Notgrabungen und geplante Forschungen. Prospektionen, Objekte, Stratigrafien steuern jeweils ihr Steinchen bei zu einem wachsenden Mosaik, das mit jeder neuen Erkenntnis ein kleines bisschen deutlicher wird.

Im Musée gruérien in Bulle öffnet ein weites Panorama von La Roche bis Vuadens den Blick in den Bezirk Gruyère. Die bekannten Fundplätze aus allen Epochen von der Jungsteinzeit bis in die frühe Neuzeit sind über die Gegend gesprenkelt und mit charakteristischen Funden vertreten. Einzelne geografische Schwerpunkte zeichnen sich ab, so für die römische Zeit eine Siedlungskonzentration westlich der Saane bei Marsens und Riaz, wo ein Tempel als kultischer Mittelpunkt, eine Handwerkersiedlung und verschiedene villae (Gutshöfe) ergraben worden sind. Die politische Geografie des Mittelalters akzentuieren die abgegangenen und noch stehenden Burgen, allen voran Gruyères. Drei Themen werden in gesonderten Räumen vertieft. In meditativem Halbdunkel zeugen Grabbeigaben und Rekonstruktionen von den Begräbnissitten in vorgeschichtlicher und römischer Zeit. Eine Vielfalt von Metallobjekten, Verhüttungsabfällen und Werkzeugen legt den Schluss nahe, dass die Siedlung von Marsens von Schmieden bevölkert war. Den Blick auf die städtische und neuzeitliche Archäologie lenkt schliesslich die Keramik, die ab dem 14. Jahrhundert in Bulle produziert wurde: Ofenkacheln und Geschirr aller Art.

Nach dem Ausstellungbesuch blieb ein Viertelstündchen für einen Auffrischungsrundgang durch die Dauerausstellung des Musée gruérien. Der knirschende Kokosläufer und die sattgrüne, tiefer gehängte Decke atmen den unverkennbaren Charme der frühen Achtziger Jahre; aber die Ausstellung ist überraschend gut gealtert. Ein Heimatmuseum im besten Sinn des Worts, zeigt das Museum Geschichte und Tradition eines kulturell einheitlich und charakteristisch geprägten Raumes. Die Präsentation in freistehenden thematischen Gruppen ist heute nichts besonderes mehr, aber in seinen Anfängen muss das Haus absolute museografische Avantgarde gewesen sein. Gealtert hat freilich das Ausstellungsgut: Währenddem vor dreissig Jahren die gezeigten Objekte, Bräuche und Traditionen einer grossen Mehrheit der BesucherInnen noch aus eigener Anschauung vertraut waren und nicht mehr als knapp skizzierte, poetische Legenden benötigten, müsste eine kommende Überarbeitung der Dauerausstellung der Tatsache Rechnung tragen, dass das heutige Publikum eine zusätzliche Erklärungsschicht benötigt: Die fortschreitende Säkularisierung dieses kulturell ehedem sehr geschlossenen Gebiets und der starke Zuzug der letzten Jahre haben zu einer neuen Publikumsgeneration geführt, für welche die Exponate vollends zu Museumsstücken geworden sind.


Technisches: Die Sonderausstellung ist noch bis am 25. Oktober geöffnet; als Begleitung ist auch ein Katalog erschienen (Découvertes archéologiques en Gruyère: quarante mille ans sous la terre. ISBN 978-2-8399-0532-9). Das Musée gruérien liegt direkt hinter dem Schloss von Bulle in einem reizvollen kleinen Park. Neben der Dauerausstellung werden regelmässige Sonderausstellungen gezeigt. Das Haus ist täglich ausser montags von 14 bis 17 Uhr geöffnet, an Werktagen auch von 10 bis 12.

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