Claudio del Principe ist kochsüchtig. Diese Krankheit ist meines Wissens von der WHO nicht anerkannt, und sie scheint mir auch nicht wirklich unangenehm zu sein. Trotzdem tut Therapie not. Claudio hat mit seinen Mitbetroffenen Patrick und Comenius zusammen als Selbsthilfegruppe einen Blog gegründet: anonymekoeche.net. Die beiden Kollegen sind offenbar geheilt; jedenfalls bloggen sie nicht mehr. Claudio hingegen schreibt weiter, magistral und genussvoll – er ist so etwas wie die schwarze Trüffel in meinem Feedreader und ein heimliches Vorbild dieses bescheidenen Blogs hier: Es macht dermassen Spass, seine Schreibe zu lesen, dass ich dies selbst dann tun würde, wenn er über Lohnbuchhaltung oder Hundesalons schriebe! Glücklicher- und idealerweise aber ist seine Leidenschaft und sein Thema das Kochen und Essen, und der Leser begleitet ihn mit nie erlahmendem Vergnügen auf seiner unendlichen Reise zum Wesentlichen. Denn Claudio ist ein Purist: Ein Menü ist für ihn dann perfekt, wenn nichts mehr weggelassen werden kann. So erwähnt er als heimliches Vergnügen die Verdura cotta – blanchiertes Gemüse in Olivenöl mit „allenfalls etwas Käse“. Und zur Bistecca fiorentina (bzw. zur Côte de boeuf) serviert er keine Beilagen. Nichts. „Schon mal Raubtiere gesehen, die nebenher noch Fritten futtern?“ Man sieht, der Mann schreibt knackig und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Doch weil er auch mächtig selbstironisch ist, nimmt man ihm die Arroganz nicht übel, im Gegenteil: Man nimmt sie als Wegweiser für die eigene Suche nach der ehrlichen Küche. Die Rezepte, alle zum Nachkochen gedacht (und soweit bisher getestet auch geeignet), werden ergänzt durch Berichte über kulinarische Exkursionen und Entdeckungen in nah und fern, vor allem in seinem heimatlichen Italien.
Was dann passiert ist, ist für den Blogautor eine Freude und für die Blogleserin ein Vergnügen: Gräfe und Unzer bringt die Anonymen Köche als Buch heraus. Das musste ich natürlich sofort und ungesehen erstehen; und nach der obigen hymnischen Einleitung erstaunt es wohl niemanden, wenn ich dieses unübliche Kochbuch wärmstens weiterempfehle. Ich muss nur eine Präzisierung anbringen und eine kleine Kritik. Die Präzisierung: Wie Leser Max richtig anmerkt, besteht das Buch mit Ausnahme von Vorwort und Glossar ausschliesslich aus online frei zugänglichem Blogmaterial. Da über den Bildschirm gebeugt zu lesen natürlich nicht mit dem Vergnügen verglichen werden kann, ein stattliches und aussergewöhnlich appetitlich gestaltetes Buch in den Fingern zu haben, und da sämtliche zeitgenössischen Blog-Lesegeräte auf Feuchtigkeit und Spritzer immer noch viel empfindlicher reagieren als ein Buch, ist dies keineswegs ein Nachteil. Zudem erscheint auf dem Blog keine einzige Anzeige, so dass ich den Buchkauf gerne als eine Art Trinkgeld für stundenlanges Lesevergnügen abgebucht habe. Und meine übliche kulturpessimistische Kritik: Wenn in einem Impressum von Lektorat und Schlusskorrektur die Rede ist, möchte ich davon ausgehen, dass jemand das Werk vor der Drucklegung einmal durchgelesen, Tippfehler bereinigt und da und dort auch mit lenkender Hand eingegriffen hat. Das scheint hier nicht der Fall zu sein; einige Fehler („Désolée, il y on a plus“ und anderes) sind eins zu eins übernommen worden, und von der lenkenden Hand, die aus dem Buch mehr hätte machen können als einen gedruckten Blog, ist kaum etwas zu spüren – was aber wiederum, wie erwähnt, nicht wirklich ein Problem ist. Ergänzend kann ich zum Schluss mit Freude vermerken, dass Claudios Therapie vorläufig regelmässig auf anonymekoeche.net weitergeführt wird...
Technisches: Claudio Del Principe, Anonyme Köche. München, Gräfe und Unzer 2009. ISBN 978 3 8338 1814 1. Ein Filmporträt sowie Interviewschnipsel mit dem Autor finden sich auf dem Blog. Ach ja: Wer (wie ich) nicht wusste, was Demiglace ist, dem kann selbstverständlich kompetent geholfen werden.
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