Dienstag, 20. April 2010

Tanz auf dem hohen Seil

Die WOZ hat in ihrer Besprechung (online nicht frei zugänglich) des 24. Internationalen Filmfestivals Freiburg FIFF ihr resigniertes Erstaunen darüber festgehalten, dass es von den dutzenden hochstehenden Filmen, die in dieser Woche gezeigt wurden, kaum je einer regulär in ein schweizerisches Kino schafft. Wir werden jahraus, jahrein mit Dutzendware vom Fliessband abgespiesen; die Perlen scheinen nicht für mehrheitsfähig gehalten zu werden. Nun bin ich, obwohl ich bald neun Jahre meines Lebens in Freiburg verbracht habe, nicht wirklich ein Festival-Aficionado; kann also hier nicht vollmundig ins Lamento einstimmen. Aber immerhin pflege ich seit drei Jahren mit meiner guten Freundin S. zusammen das Ritual eines Festival-Abends mit einem Abendessen in einem fremdländischen Restaurant und einem Film aus dem reichen Angebot des FIFF. Und der Film, den wir dieses Jahr (mehr oder weniger zufällig) ausgewählt hatten, bestätigt die Klage der WOZ. Es handelte sich um den koreanischen Film The King and the Clown (Wang-ui Namja), der im Rahmen der Retrospektive Les rois maudits de Corée (Der Fluch der koreanischen Könige) gezeigt wurde. Das koreanische Kino, so entnahmen wir dem Festivalprogramm, hat eine charakteristische Vorliebe für Königsdramen, für epische Stoffe aus der Geschichte des Landes, für Kostümfilme um Hybris und Fall der Mächtigen. Hauptperson in The King and the Clown ist der schillernde Yonsan, der als brutalster König Koreas gilt. Sein Gegenpart ist eine Truppe von Gauklern und Artisten, die sich um den charismatischen Jangsaeng und den jungen, androgynen Gonggil schart. Ihr respektloses Spektakel über den König und seine Konkubine auf den Strassen der Hauptstadt bringt sie zunächst ins Gefängnis, dann an den Königshof, wo sie mit Schiss in den Hosen vor dem Herrscher auftreten – und dieser sich wider Erwarten köstlich amüsiert. Jangsaeng und seine Truppe werden zu Hofgauklern ernannt. In dieser bis ins letzte Detail kodifizierten und geregelten Umgebung bringen die mächtigen, widerstrebenden Kräfte zwischen den Artisten vom Land, dem wankelmütigen König und der gleichsam byzantinischen Hofbeamtenschaft das Drama in Gang.

Dass ich diesen Film als Perle bezeichne und bei weitem höher schätze als die gängige Kinokost, liegt am Reichtum seiner Geschichten, an der Vielzahl der Zugänge, die er anbietet. Das Artistenleben als Hochseilakt, die Masken, die an- und abgelegt werden – das sind nur die offensichtlichsten Interpretationsansätze. Komplexer ist das kaum durchschaubare Machtgefüge am Hof, ein empfindliches Gleichgewicht des Schreckens: Der Herrscher ist ein absolutistischer, ein Wort von ihm kann Karrieren und Leben beenden; und dennoch ist er eingeschnürt in ein Hofzeremoniell, üben seine Minister, obwohl sie im Staub vor ihm kriechen müssen, auf subtile Weise eine grosse Macht aus. Die Spiele der Gaukler bringen zunächst vor allem dem König ein willkommenes Ventil und schaffen ihm einen persönlichen Freiraum. Gleichzeitig wird aber die von zärtlicher Zuneigung geprägte Beziehung zwischen Jangsaeng und Gonggil in das feine Netz der Hofintrigen eingespannt, als das Interesse des Königs am jungen Artisten immer deutlicher wird. Die Spannungen werden fast körperlich spürbar, bis sie sich in einer Serie brutaler Akte entladen.

Und damit habe ich noch gar nichts gesagt über den Dekor: über die strengen, seltsamen Kostüme, die Möbel, Räume und Gegenstände am königlichen Hof, die ich nur in ästhetischen Kategorien wahrnehmen kann, deren Bedeutung sich mir aber verbirgt. Mir fehlen die historischen und kulturellen Kenntnisse, um weitere Bedeutungsebenen aufschliessen zu können. Das ist schade – und gleichzeitig beeindruckt mich, dass der Film auch ohne diese Kenntnisse funktioniert.


Technisches: Wang-ui namja (2005) von Jun-ik Lee ist der bis anhin kommerziell zweiterfolgreichste koreanische Film. Trotzdem scheint er bei uns schwierig zu erhalten sein. Immerhin hilft amazon.com weiter.

[UPDATE: Auch das FIFF hat leider noch nicht entdeckt, dass Beständigkeit in der Link-Struktur das wichtigste Gut einer Website ist...]

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