Sonntag, 20. Mai 2007

Der Hauptaktionär

Seit meinem letzten Griechenlandurlaub stand Βασικός Μέτοχοςvon Petros Markaris etwas furchteinflössend im Bücherregal. Ich hatte noch nie ein so dickes Buch auf Griechisch gelesen und deshalb einen gewissen Respekt, der sich aber verflüchtigte, kaum hatte ich zu lesen begonnen: ein paar Seiten nur, und ich war drin – und dies nicht nur, weil es sich um einen Krimi handelte (womit sich meine alte Strategie erneut bewährt hätte, in fremden Sprachen bevorzugt Krimis zu lesen, damit mich der Stoff ans Buch fesselt). Markaris legte fulminant los: Unmittelbar nach ihrem glanzvoll bestandenen juristischen Doktorexamen zum Thema „Terrorismus“ wird Kommissar Charitos’ Tochter Katerina zusammen mit ihrem Freund Fanis und ein paar hundert weiteren Passagieren auf der Ferienreise nach Kreta Opfer einer Schiffsentführung. Mit dem ersten besten Flug nach Chania geeilt, tigert Charitos in der zweiten Reihe des polizeilichen Einsatzzentrums herum, nur um dort auch nicht mehr zu erfahren, als das restliche Land in den Fernsehnachrichten. Und natürlich schlägt gleichzeitig in Athen ein seltsamer Mörder zu: In einer der vergammelnden olympischen Anlagen wird ein schwuler Gelegenheitsschauspieler gefunden, bekannt als Hauptdarsteller eines Mobiltelefonie-Werbespots, aus nächster Nähe erschossen mit einer museumsreifen Waffe. Charitos wird nach Athen zurückgeschickt, und Markaris zeigt sich im Hin und Her der Gedanken und der Aufmerksamkeit seines Protagonisten auf der Höhe seines Handwerks. (Ungefähr hier musste ich beginnen, mich mit Verstand und Gewalt zum Schlafen zu zwingen.)

Sowohl die Antiterroreinheiten in Kreta als auch Charitos mit seinen Helfern in Athen fischen im Trüben, bis sich ihre Gegner auf beiden Fronten mit spektakulär-verstörenden Ankündigungen erstmals zu Wort melden. Aber währenddem die Polizei zur Auflösung von Geiselnahmen gewisse Methoden im Repertoire hat, muss Charitos weiter improvisieren. Zum Glück hat er sein Bauchgefühl und gute Verbündete, darunter Objekte einer sehr ambivalenten Zuneigung: sein Chef Gikas und der Kommunist Zisis. Charitos ist nicht nur älter, sondern auch abgeklärter, ruhiger und grosszügiger geworden.

Nichts Neues ist, dass ein guter Krimi die Enthüllung eines Verbrechens nur zum Vorwand nimmt für viel weiter gehende Enthüllungen zu Recht, Gesellschaft und Politik. Markaris verknüpft seine Fäden virtuos und konsequent zu einem Panorama der neueren griechischen und europäischen Geschichte und stellt im Vorbeigehen und scheinbar ohne jeden Aufwand die Absurdität des Fernsehens und der Politik und anderes bloss. Und natürlich ist auch dieser Charitos-Krimi eine Hass-Liebes-Erklärung des Autors an Athen, das während der olympischen Spiele sein Potential einer absolut lebenswerten Stadt angedeutet hat, aber seither wieder in den alten Trott zurückzufallen droht. Die Beschreibung von Charitos’ nächtlichem Spaziergang in der Aiolou-Strasse zeigt uns einen Kommissar, der von der Schönheit seiner Stadt – nach so vielen Jahren der Abstumpfung – überrascht und überwältigt ist. Man hätte ihm diese Erfahrung schon viel früher gewünscht und hofft, dass er sich ihrer erinnern wird.


Technisches: Βασικός Μέτοχος ist eben im Diogenes-Verlag auf Deutsch herausgekommen unter dem Titel „Der Grossaktionär“ (ich hätte eher „Hauptaktionär“ gesagt, aber wurde nicht konsultiert), ISBN-10 3 257 06574 4. Die Website von Diogenes ist nicht gerade benutzerfreundlich, deshalb hier der Link zu Amazon.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen