Freitag, 18. September 2009

Zehntausend schlafende Pferde

Der grösste Dieselmotor der Schweiz steht in Fribourg: Zwölf Meter lang und acht hoch dominiert er mit Wucht und Eleganz die leere Halle des thermoelektrischen Kraftwerks in der Maigrauge, das, verstaubt und zugestellt, als Werkstatt und Abstellhalle verwendet wird. In den acht Zylindern schlafen zehntausendachthundert Pferde. Bei Sulzer in Winterthur wurde das Monstrum ursprünglich für einen Ozeanriesen gebaut (wovon noch die steilen Treppen mit den eleganten Handläufen zeugen), dann aber von den Freiburgischen Kraftwerken angekauft, in Einzelteilen in die Unterstadt transportiert und im tempelähnlichen Hallenbau montiert. Während fast siebzig Jahren produzierte es aus 5000 Litern Heizöl pro Stunde Strom, unter ohrenbetäubendem Lärm und weithin spürbarer Vibration. Die stark gestiegenen Ölpreise, die Umweltgesetzgebung sowie ein Kolbenriss setzten den archaischen Giganten in den Neunziger Jahren (erst!) ausser Gebrauch. Seine drei kleineren Kollegen wurden abgebrochen und nach Indonesien verfrachtet; der grosse Schiffsmotor jedoch steht heute noch an seinem Wirkungsort, als eindrücklicher Zeuge einer Zeit, in der die besten und stärksten Motoren der Welt in der Schweiz produziert wurden.

Am Tag des offenen Denkmals, der sich dieses Jahr mit dem Wasser in all seinen Formen und Funktionen befasste, öffnete Groupe E ihre Wasserkraftwerke in der Maigrauge und am Ölberg für die Besucherinnen und Besucher. Das war wie erwartet spannend und informativ; besonders der innovative Fischlift am Maigrauge-Staudamm hat uns begeistert. Das in unseren Augen eigentliche Highlight, eben der grosse Dieselmotor, stand jedoch nur verschämt auf dem Programm. Etwas ausserplanmässig hat uns dann aber ein freundlicher und sehr kompetenter Mitarbeiter die Tür zum thermoelektrischen Kraftwerk aufgeschlossen, die Kolben mittels Elektromotor in Gang gesetzt, den Giganten mit uns erklettert und seine Funktionsweise erklärt. Ich kann nicht sagen, was mich mehr faszinierte: die gewaltige, einschüchternde Masse oder die Anmut der Konstruktion – denn hier gilt forms follows function in Reinkultur, und gerade deshalb ist das Design von unnachahmlicher, anschaulicher Eleganz.

Die Erinnerung an die Centrale Montemartini gibt Anlass zum Träumen: Da das gute Teil nun mal dort steht, wo es steht, da es schweizweit einzigartig ist, da auch das Gebäude ein historisches Monument ist, wäre der Gedanke verlockend, den Motor zu konservieren und als technikgeschichtliches Museum zugänglich zu machen. Dass das nicht einfach sein wird, ist mir natürlich klar. Umso mehr habe ich mich über die vorläufig einmalige Gelegenheit gefreut, dieses Juwel von nahem betrachten und studieren zu können.


Technisches: Das thermoelektrische Kraftwerk der Maigrauge ist in der Regel nicht zugänglich. Als notdürftiger, aber gut gemachter Ersatz dienen kann seine Publikation im Rahmen der „Fiches Ville de Fribourg 2005“ der kantonalen Denkmalpflege.

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