Liegt es nur an meinem einseitig fokussierten Interesse, oder sind in letzter Zeit religiöse Themen im kulturellen Geschehen tatsächlich besser vertreten? Vor Weihnachten lief hier in Fribourg für kurze Zeit Soeurs, ein Dokumentarfilm über das Leben in drei Frauenklöstern: die Benediktinerinnen-Abtei in Pradines bei Lyon, das Dominikanerinnen-Kloster in Estavayer-le-Lac und das Kloster der Visitandinnen in Fribourg selber. Soeurs erwies sich als diskreter, unspektakulärer Film. Er verzichtete weitgehend auf poetische Inszenierungen der klösterlichen Architektur und Stimmung, und seine sehr dokumentarische Bildsprache war weit entfernt von der fast liturgischen Intensität, die vor vier Jahren den Karthäuser-Film Die grosse Stille ausgezeichnet hatte. Rhythmisiert durch den strengen klösterlichen Tagesablauf rückte er vielmehr den ganz gewöhnlichen Alltag hinter Klostermauern in den Fokus der Kamera, die uralte Abfolge von Gebet und Arbeit, von Gemeinschaft und Einsamkeit. In kurzen Porträts gaben einzelne Nonnen Auskunft über ihren Glauben und ihre Art, ihn zu leben. Dabei entstanden so berührende Momente wie im Gespräch mit einer alten Dominikanerin aus Frankreich, die schon drei Mal ihr Leben in einem aussterbenden Kloster hatte aufgeben müssen, um an einen neuen Ort zu ziehen, oder wie in den Erinnerungen der Benediktinerin, die 1945 an einem Samstag zum letzten Mal zum Tanz ging und tags darauf ins Kloster.
Besonderen Raum gab die junge Schweizer Regisseurin Katharine Dominice den Vorsteherinnen der drei Klöster. In ausführlichen Gesprächen analysierten sie ihre Rolle als Oberhaupt ihrer Gemeinschaft und die Ausübung von Autorität in einem Umfeld der Demut und des Gehorsams. Bei allen Ähnlichkeiten in der Rollenauffassung wurden dort die Unterschiede zwischen den Orden deutlich: Das Spektrum reicht von der benediktinischen Äbtissin, die sehr wohl weiss, wie sehr sie mit ihrem auf Lebenszeit ausgeübten Amt nolens volens ihre Gemeinschaft prägt, über die dominikanische Priorin, die in burschikos-kollegialer Art ihre Mitschwestern zusammenhält, bis zur jeweils für vier Jahre gewählten Superiorin der Visitandinnen: Sie interpretiert ihre Leitungsfunktion als temporäre Aufgabe wie jede andere – so wie sich jemand um die Werkstatt kümmert, muss halt auch jemand an der Spitze der Gemeinschaft stehen.
Dass Dominice diese Thematik so prominent präsentiert, unterstreicht ihre Wichtigkeit. Ich denke, dass die Art und Weise, wie mit Autorität, Gehorsam und Entfaltung der Persönlichkeit umgegangen wird, für die jeweils spezifische Spiritualität eines Klosters, eines Ordens sehr entscheidend ist; ja ich sehe darin einen wesentlichen Unterschied zwischen Männer- und Frauenorden in der katholischen Kirche. Was ich damit meine: Mönche sind vielfach Priester und haben damit ganz von selbst eine definierte Autorität innerhalb der katholischen Hierarchie. Orden wie die Dominikaner oder Jesuiten definieren sich stark über die Intellektualität, stellen Professoren und Lehrer; Benediktinerklöster sind schon von ihrer Architektur her Zitadellen, spielten und spielen als Lehrorte eine gewichtige Rolle. Regelmässig greift die Kirche zudem für Bischofs- und andere Leitungsämter auf Ordensangehörige zurück. So sehe ich bei Angehörigen von Männerorden in der Regel ein breites Spannungsfeld zwischen ihrem Gehorsam gegenüber den Ordensregeln und der Autorität ihrer Oberen und der Möglichkeit, ihre eigene Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Demgegenüber spielen – von aussen gesehen – bei Angehörigen von Frauenorden Demut und Selbstaufgabe eine viel zentralere Rolle: Ihre Klöster sind oft geschlossen und unzugänglich, ihre Aufgaben dienender und betreuender Art. Ich fürchte, dass dieser mein Eindruck ein etwas oberflächlicher ist, und hätte gerade deshalb gerne mehr darüber gelernt.
Dass dies in anderthalb Stunden Film kaum möglich ist, ist mir freilich klar. Was durchscheint in allen Gesprächen: Der Entscheid zum Klosterleben ist im höchsten Grad persönlich und individuell. Dem Aussenstehenden können die spezifischen Charakteristika der einzelnen Orden und Klöster, können Worte und Gesten der Nonnen immerhin eine Ahnung davon vermitteln. Gleichwohl: Das Mysterium wird beleuchtet, bleibt aber mysteriös.
Technisches: „Soeurs“ läuft inzwischen nicht mehr im Kino. Beim Warten auf die DVD kann die Website schon mal einen guten, umfangreichen Einblick in den Film und seine Hintergründe geben.
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