Freitag, 28. Januar 2011

Slow Crime

Meine kriminalistische Italienreise hat mich nach Rom, Triest und Bologna jetzt in die Gegend von Parma geführt, an den Po, der als Der Nebelfluss dem Roman von Valerio Varesi nicht nur den Titel gibt, sondern auch so etwas wie sein heimlicher Protagonist ist. Breit und träg mäandert er durch die Ebene, schleift hier sein Ufer ab, baut dort eine Insel auf, birgt Geheimnisse auf seinem Grund und gibt sie irgendwann wieder frei. Und der Rhythmus seines zunächst grenzenlos anschwellenden, dann langsam fallenden Hochwassers bestimmt den Gang dieser Geschichte. Dem kann sich bei aller Ungeduld auch der eigentliche Hauptdarsteller, Commissario Soneri, nicht entziehen, der seine Ermittlungen voranbringen möchte und doch keine andere Wahl hat, als seine Tage auf den schmalen Strassen und in den kleinen Dörfern am Fluss zu verbringen und zu verlieren.

Hauptcharakteristikum und Erfolgsgeheimnis dieses Krimis ist seine Langsamkeit. Soneri versucht, den Tod zweier alter Einzelgänger und Brüder aufzuklären, deren einer mitten in der Nacht mit seinem Lastkahn in den stetig steigenden Fluten des Pos verschwindet, während der andere tags darauf unter einem Fenster des Krankenhauses zerschmettert aufgefunden wird. Dass es sich dabei weder um Zu- noch um Unfälle handeln kann, wird mindestens dem Kommissar bald einmal klar; und als herauskommt, dass beide Brüder im Zweiten Weltkrieg als faschistische Schwarzhemden brutale Verbrechen verübt haben, zeichnet sich rasch auch ein mögliches Motiv ab. Wie in Zeitlupe zieht sich danach die Suche nach dem Täter dahin, und man folgt Soneri in aller Musse in den Circolo Nautico, zu den Carabinieri und in die Osteria, wo der Kommissar schäumenden Fortanina trinkt, grandiosen Vorderschinken isst und aus Andeutungen und Zufällen einen weiteren Fetzen seiner Spur zu erhaschen, eine Erklärung für das Vorgefallene zu finden sucht. (Der Zufall übrigens tritt mehrfach in der charmanten Gestalt von Soneris Freundin Angela auf, deren Fetisch, ihren Geliebten nur an den unmöglichsten Orten zu treffen, die beiden zwar in Teufels Küche, aber gleichzeitig die Ermittlungen vorwärts bringt.)

Im Nebel über dem Po wird die Lektüre zum Slow-Food-ähnlichen Genuss, von der diffusen Spannung gleich einer bald abgelaufenen Uhrfeder stetig, aber ohne jegliche Thriller-Hektik vorangetrieben. Dies gilt auch für die finale Konfrontation mit dem von weit her gekommenen Mörder, die eher einem Gespräch beim Psychologen ähnelt, gleichzeitig aber einen Plot von raffinierter Eleganz enthüllt. Für einmal kann ich ohne Einschränkungen den Lobesschnipsel auf dem Klappentext zitieren, der da sagt: „Manche Bücher vermisst man schon, ehe man sie ausgelesen hat. Varesis Der Nebelfluss gehört dazu.“ Glücklicherweise halten Buchhändler und Bibliotheken von Valerio Varesi (auf Italienisch wie auf Deutsch) noch etliche weitere Bücher bereit.


Technisches: Valerio Varesi, Der Nebelfluss. Commissario Soneri sucht eine Leiche. Deutsch von Karin Rother. Reinbek, Rowohlt Taschenbuch 2006. ISBN 978 3 499 23780 5. Das Original ist unter dem Titel „Il fiume delle nebbie“ 2003 bei Edizioni Frassinelli in Mailand erschienen.

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