Freitag, 6. Mai 2011

Zwischen allen Stühlen

Dass ich den griechischen Autor Petros Markaris sehr gerne lese, ist auf diesem Blog bereits zur Genüge dokumentiert. Seine Kostas-Charitos-Krimis habe ich alle verschlungen. Dass mich folglich auch seine Autobiografie interessiert, wird nicht verwundern. Allerdings ist „Autobiografie“ vielleicht die falsche Bezeichnung für das Buch Κατ΄εξακολούθηση, das Markaris 2005 für die Kollektion „In der Küche des Schriftstellers“ (Στην κουζίνα του συγγραφέα) verfasst hat. Es handelt sich präziser um einen Rück- und Überblick über sein literarisches Schaffen und dessen Verortung in seinem Leben, seinem Denken und seinen Erfahrungen. Und es ist dieses aussergewöhnliche und vielseitige Leben, das mich bei der Lektüre am meisten fasziniert hat. Von armenischer und griechischer Herkunft, in Konstantinopel/Istanbul dreisprachig (Griechisch, Türkisch, Deutsch) aufgewachsen, Ökonomiestudent in Österreich und Deutschland, dann nach Athen übersiedelt, Theater- und Drehbuchautor (unter anderem für Filme von Angelopoulos und Fernsehserien), Übersetzer von Brecht und Goethe und eben seit knapp zehn Jahren höchst erfolgreicher Kriminalschriftsteller – einer Katze vergleichbar scheint Markaris mehr als ein Leben zu haben. Eindringlich beschreibt er das Istanbul der 40er und 50er Jahre, eine Stadt, die mit dem Adjektiv „kosmopolitisch“ nur unzulänglich beschrieben ist. In drei Minuten Tramfahrt, erinnert sich der Autor, war es absolut üblich, sechs Sprachen zu hören: Türkisch, Griechisch, Armenisch, Sephardisch, Italienisch und Französisch. Gleichzeitig lebten die bedeutenden Minderheiten der Griechen, Armenier und Juden traditionell nicht nur von den Türken, sondern auch voneinander säuberlich getrennt – so sehr, dass die Ankündigung von Markaris‘ armenischem Grossvater, er wolle eine junge Griechin heiraten, umgehend zu seiner Enterbung führte. Nur am Rand kommt der Autor auf die Pogrome gegen die Nicht-Türken zu sprechen, die in den Fünfziger Jahren viele ihrer Angehörigen ins Exil drängten. Für den jungen Petros bedeuteten sie insbesondere, dass seine Eltern ihre Stadtwohnung aufgeben mussten und sich ins Sommerhaus auf den Prinzeninseln zurückzogen, eine für den Teenager aus der Grossstadt die meiste Zeit sterbenslangweilige Umgebung. Von den weiteren Lebens- und Schreibensstationen seien zwei erwähnt: Markaris‘ einziges Theaterstück, Die Geschichte von Ali Retzo, mit dem er die Zensoren der Militärjunta übertölpelte und nach eigener Einschätzung den bedeutendsten kulturellen Widerstandsakt gegen die Obristendiktatur auslöste; und die augenzwinkernde Art und Weise, wie sich Kommissar Kostas Charitos, dieser kleinbürgerlich-bauernschlaue Polizist, plötzlich und unerwartet im Kopf seines Autors einnistete und diesen im hohen Alter zum Romanautor machte (und zu einem über alle Massen erfolgreichen dazu).

Weniger spannend, streckenweise sogar reichlich langweilig, fand ich die literaturtheoretischen Passagen des Buches. Markaris entwirft eine umfassende Theorie des zeitgenössischen Kriminalromans und lässt sich dazu ausführlich über die bekanntesten literarischen Kommissare Europas, ihre Denkweisen und ihre kulinarischen Vorlieben aus. Das ist für die Einordnung seines eigenen Werks nicht uninteressant, aber für den gemeinen Krimileser etwas langfädig. Auch der Essay über die Brecht-Rezeption in Griechenland gehört in diese Kategorie. Die direkte, ruppige, oft sarkastische Sprache, die Markaris seinem Helden Kostas Charitos in den Mund legt, ist weit besser zugänglich als der häufig etwas schwerfällige griechische Essay-Stil, der viele Seiten des Buches dominiert. Dem Literaturwissenschaftler mag es anders ergehen; ich bin mir bewusst, dass diese Empfindung stark von meinen persönlichen Vorlieben und Interessen abhängt. Deshalb freue ich mich besonders, dass letztes Jahr ein weiterer Charitos-Krimi herauskam (der erste Band einer Trilogie überdies), der als Souvenir aus Athen mitgekommen ist und jetzt in meinem Regal der Lektüre harrt.


Technisches: Petros Markaris, Κατ΄εξακολούθηση. Athen, Patakis 2005. ISBN 978-960-16-2256-9. Auf Deutsch ist das Buch unter dem Titel Wiederholungstäter. Ein Leben zwischen Athen, Wien und Istanbul (übersetzt von Michaela Prinzinger) 2008 bei Diogenes in Zürich erschienen (ISBN 978-3-257-06639-5).


P.S.: Auf den Tag meiner Rückkehr aus Athen ist auch der vierte Geburtstag dieses Blogs gefallen. Auch für Blogs scheint zu gelten: Je älter, desto weniger wichtig werden genaues Alter und Jahrestage. Anstelle eines gloriosen Festtagsbeitrags bitte ich deshalb die geneigte Leserin und den geneigten Leser ganz bescheiden um zwei Sekunden Innehalten und Meditieren über die Vergänglichkeit alles Irdischen…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen