Mittwoch, 21. Dezember 2011

Poulet aux prunes

Von Marjane Satrapi kannte ich bisher nur Persepolis, ein Meisterwerk unter beiden Gestalten, Comic wie Film. Andere ihrer Graphic Novels standen seit langem auf meiner imaginären Liste von Büchern, die ich irgendwann gerne mal lesen würde; zum Beispiel Poulet aux prunes, die traurige Geschichte von dem iranischen Musiker, der seine Geige verloren hat und aus Kummer darüber sterben will. Jetzt ist mir die filmische Umsetzung zuvorgekommen: Wiederum hat Marjane Satrapi selber, zusammen mit Vincent Paronnaud, ihr Werk für die Leinwand adaptiert; dieses Mal allerdings nicht als Zeichentrick-, sondern als Realfilm mit illustrem Staraufgebot.

Und dann dies: Mathieu Amalric als Nasser-Ali, der Meistergeiger, spielt über weite Strecken reichlich hölzern; auch andere Figuren wirken klischiert, selbst die grosse Isabella Rossellini als Nasser-Alis Mutter bleibt seltsam blass. Viele Szenen haben nicht den richtigen Rhythmus, sind langfädig, oder noch schlimmer: schweben gewissermassen im Nichts, tragen zum Fortgang der Geschichte kaum etwas bei. Charakteristisch dafür sind die beiden Auftritte von Jamel Debbouze: Als skurriler Trödler, der eine Stradivari im Angebot hat, sowie als strubbelbärtiger Einsiedler, der aus dem Nichts am Grab von Nasser-Alis Mutter auftaucht, spielt er zweimal in erster Linie sich selbst – aber für die Entwicklung des Films sind beide Episoden kaum von Bedeutung. Es fühlt sich an wie aufdringliches Name-dropping: Schaut her, Jamel ist mein Freund, er spielt in meinem Film, sogar gleich zwei Mal, habt ihr ihn erkannt? Dazu kommen handwerkliche Mängel: Zum Beispiel erwarte ich gewiss nicht, dass der Darsteller des besten Violonisten seiner Zeit selber ein Virtuose ist; aber dass seine Bewegungen, wenn er spielt, mindestens einigermassen mit der gleichzeitig erklingenden Musik übereinstimmen, das ist doch nicht zuviel verlangt? Immerhin: Gegen Ende wird der Film besser. Da werden einige offene Fäden geschickt verknüpft, und wir entdecken das wahre, traurige Geheimnis in Nasser-Alis Leben, den eigentlichen Grund für seinen Wunsch zu sterben. Das ist stimmig und sehr berührend, wenn auch vieles von dieser Berührung durch reichlich Druck auf die Tränendrüse erzeugt wird und wir vom Kitsch nicht mehr fern sind.

Ich habe den Eindruck, dass Marjane Satrapi richtiggehend in Comics denkt und lebt. Dies würde Stärken und Schwächen dieses Films erklären wie beispielsweise den relativ penetranten allwissenden Erzähler (dessen Identität gegen Ende elegant aufgedeckt wird). Konsequenterweise überrascht es denn auch nicht, dass ihr eigentliches Talent überall dort aufblitzt, wo der Film zum Trickfilm wird – wo gezeichnete Szenen sich zwischen die realen schieben, wo schräge Vor- und Rückblenden die tollkühnsten Assoziationen auslösen. Als Nasser-Ali, inspiriert von Sokrates, ein paar gewichtige letzte Worte an seine Kinder richten will und das feierlich aufgebaute Pathos mit pythoneskem Witz ruiniert wird, haben wir Tränen gelacht. Und der Vorspann mit seinen schlichten Schattenfiguren war überhaupt reine Poesie. Dieses Timing, diese Kreativität fehlen grossen Teilen des Films. Und man würde sich wünschen, dass Satrapis nächstes Werk wieder etwas näher am Trickfilm wäre.


Technisches: Poulet aux prunes startet am 29.12. in den Deutschschweizer Kinos.

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