Sonntag, 30. August 2009

Im Dunkeln tappen

Das Kunsthistorische Museum Wien ist zusammen mit seinem Pendant, dem Naturhistorischen Museum, nicht nur ein seinem herrschaftlichen Standort angepasster Palast, sondern auch eines der ersten Grossmuseen, das eigens zu diesem Zweck gebaut wurde. Die monumentale Architektur weckt Erwartungen, die das Gebäude selber im Inneren mehr als erfüllt. Über ein prächtiges, mit Skulptur und Malerei dekoriertes Treppenhaus gelangt man in hohe Säle. Fresken von Grotesken und überbordender, goldglänzender Stuck schmücken die Gewölbe. Das Museum ist gewissermassen sein eigenes spektakulärstes Exponat und würde auch leer einen Besuch rechtfertigen. Darüber hinaus beherbergt es aber eine der bedeutendsten Sammlungen der Welt. Bei meinem letzten Besuch in Wien war die Antikenabteilung in Renovation, worauf ich mich, mit unerwarteter Ausdauer sowie einem hervorragenden Audioguide gewappnet, stundenlang zwischen den Alten Meistern herumtrieb. Dieses Mal wollte ich endlich die Altertümer sehen.

Die Sammlung besticht zunächst durch ihre thematische Breite. Gut vertreten sind neben den üblichen Verdächtigen einer solchen Kollektion, den griechischen Vasen, römischen Porträts und Konsorten, vor allem die vorrömischen Kulturen Italiens sowie die zyprische Kultur. Dies verleiht der Ausstellung eine zeitliche und thematische Breite, welche sich am anderen Ende des Spektrums bis zu byzantinischen und frühmittelalterlichen Denkmälern erstreckt. In diesem Jahrhunderte überspannenden Reichtum funkeln viele Glanzlichter. Ein spezielles Vergnügen sind für mich in solch renommierten Häusern immer die Stücke, die ich aus der Literatur schon kenne und dann endlich zum ersten Mal im Original vor mir sehen kann. So genoss ich in Wien besonders die Reliefs vom Heroon von Trysa, den Stamnos des Brygos mit Hektors Lösung oder die spektakuläre Gemma Augustea.

Nicht auf der Höhe der Exponate war hingegen die Museografie. Im Rahmen der Restauration und Neueinrichtung der Säle sind hier viele energische Akzente gesetzt worden, die sich aber leider oft als nicht sehr praktisch erweisen. Dies gilt zunächst für die Anordnung des Rundgangs, die uns etwas unvermittelt und unklar erschien. (Zur Verwirrung trägt auch die in Gold gefasste, ursprüngliche Beschriftung der Säle bei, die den nach Orientierung suchenden Besucher leicht in die falsche Richtung gehen lässt.) Es gilt aber vor allem für den Entscheid, die Säle der altitalischen und -ägäischen Kulturen sowie der Kleinkunst dunkel zu halten und nur die Objekte mit gezielt gesetztem Licht herauszuschälen. Die weihevoll-magische Stimmung passt zwar gut zu den grossartigen Räumen, aber das Besuchserlebnis leidet unter der zu extremen Umsetzung der Idee: Einige Objekte sind so sparsam ausgeleuchtet, dass ihre Schauseite zwar gut sichtbar ist, die Rückseite sich aber nur schemenhaft im Halbschatten abzeichnet. Gerade bei Vasen ist das natürlich eine Todsünde. Nur halbwegs gelungen ist auch der museografische Einfall, bei den unteritalienischen Vasen mit einem raumhohen, vollgestellten Glasschrank die Massenproduktion und den Überfluss der Magazine zu inszenieren. Der Effekt gelingt zweifellos, aber der Frust darüber, mehr als die Hälfte der Exponate nicht adäquat betrachten zu können, trübt die Freude an dieser Vitrine. Was anderswo funktioniert (beispielsweise in den niederen Räumen des ehemaligen Luzerner Zeughauses, im schaulagerartigen Historischen Museum), stiftet in den palastartig hohen Sälen des KHM eher Verwirrung.

So hinterlässt die Neugestaltung der Antikensammlung den etwas schalen Nachgeschmack eines ambitionierten, aber nicht immer genügend durchdachten Vorhabens. Aber gemach: Der Reichtum der Sammlung und die Pracht der Räume holen das Museum da locker wieder heraus.


Technisches: Das Kunsthistorische Museum Wien kann man kaum übersehen; es steht am Maria-Theresien-Platz zwischen Neuer Hofburg und Museumsquartier. Der Eintritt kostet 10 EUR; alle weiteren praktischen Informationen finden sich auf der gut gemachten Website. Besonders zu empfehlen ist nach dem anstrengenden Museumsbesuch eine Pause im edlen Museumscafé oben im Kuppelsaal.

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